Rezension: „Erden“ (Dóri Varga, Ü: Ivna Žic)

Eine Anmerkung vorweg: Ich weiß noch immer nicht wirklich, wie Lyrik-Rezensionen funktionieren. Das kann mir sicher die ein oder andere kluge Person erklären – und ich bin sicher, das war auch mal Thema im Deutsch-Unterricht – aber für mich funktioniert es nicht, mit dem Kopf an Lyrik heranzugehen.

Es hat ein wenig gedauert, bis ich verstanden habe, dass zumindest ich Lyrik mit dem Herzen lesen sollte (also… über die Augen… ach ihr wisst schon). Seitdem ist Lyrik ein kleiner aber stetiger Begleiter in meinem Leseleben. Rezensionen macht das aber nicht einfacher…

Wie dem auch sei, nennt es Rezension oder auch nicht: Ich möchte euch heute etwas über einen ganz besonders zauberhaften Lyrikband erzählen. „Erden“ von Dóri Varga, übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Ivna Žic.

Foto des Buches auf weißem Grund, Cover zeigt eine Frau sitzend in schwarz weiß
(Foto: S. Schückel)

Zuerst entdeckt habe ich es bei Alex – Phytoalexine – aus dem ocelot und kurz darauf lasen Maria und Ludwig von blauschwarzberlin ein Gedicht daraus in ihren „Letzten Lektüren“ gemeinsam vor. (An dieser Stelle sei bemerkt, dass ich seitdem von einem von beiden eingelesenen Lyrik-Hörbuch träume. Liebe Verlage, das wäre großartig, danke.)

Für mich ist „Erden“ der erste wirklich zweisprachige Lyrikband den ich besitze. In anderen Büchern waren durchaus mal fremdsprachige Texte enthalten, aber noch nie bin ich in den Genuss gekommen, sowohl das – in diesem Fall – englische Original direkt neben der deutschen Übersetzung zu lesen.

Innehalten und ankommen

Ich möchte einerseits keine viel zu naheliegenden Wortspiele mit dem Buchtitel machen und von „erdenden“ Gedichten sprechen (was ich hiermit wohl aber irgendwie getan habe), andererseits wäre diese Bezeichnung aber auch sehr passend.

Beim Lesen merkte ich, wie ich ruhiger wurde. Ich las in kleinen Etappen – einfach um mehr von diesem schmalen Band zu haben – und wann immer ich das Buch zur Hand nahm, breitete sich diese beinahe ungewohnte Gelassenheit in mir aus. Das ist keineswegs ein Effekt, den ich beim Lesen allgemein immer verspüre oder bei Lyrik im Besonderen. Meine Vermutung ist: Es liegt an Dóri Vargas Worten, bzw. denen, die Ivna Žic ihr im Deutschen gibt.

Dóri Varga schreibt im Nachwort, dass die Gedichte in einer „kathartischen Zeit“ entstanden, in der sie sich „von den Konditionierungen, die ich als Frau, Partnerin, Liebende und Mutter erfahren habe“ (S. 75) trennt. In jeder Zeile spürt man, dass sie bei sich selbst ankommt. Genau dieses Ankommen hat sich auf mich übertragen.

Foto des Buches ohne Schutzumschlag auf weißem Grund. Cover zeigt Gebirgslandschaft mit Fluss. Halb auf dem Buch liegt eine Karte in Pink mit einem Teil eines Gedichts darauf.
(Foto: S. Schückel)

Übersetzungsgeschenk

Ich spreche fließend Englisch und lese häufig Literatur auch im Original. Spätestens aber bei Lyrik wird mir immer wieder bewusst, was für Künstler*innen am Werk sind, wenn es um Übersetzungen geht.

Vielleicht kurz ein Einblick in mein Lesen bei diesem Lyrikband: Ich widmete mich zuerst dem Original, las und spürte nach. Dann las ich die Übersetzung und spürte auch hier nach.gab es Unterschiede in dem, was ich fühlte? Manchmal. Es waren Nuancen, wirkliche Kleinigkeiten, die mein Kopf anders verstanden bzw. mein Herz anders empfunden hatte. Und dann verglich ich. Vermutlich war das der rationalste Moment in meinem Lesen (ich bin allerdings auch ein sehr rationaler Mensch), aber die Neugier war groß: Ich wollte verstehen, worin der Unterschied in der Wirkung bestand.

Natürlich fand ich das nicht wirklich heraus, schließlich ist die Wirkung mancher Worte sehr subtil und es schwingen einfach viele verschiedene Dinge mit ihnen in den kleinsten Formulierungen mit. Was mir jedoch einmal mehr dadurch bewusst wurde war, wie grandios Übersetzer*innen sind – überall, aber gerade auch in der Lyrik. Ivna Žic ist dabei ganz sicher keine Ausnahme.

Der zweisprachige Band gab mir die Möglichkeit, die Gedichte Dóri Vargas auf zwei Weisen kennenzulernen und mich noch intensiver auf sie einzulassen.

Wie unterschiedlich und doch unfassbar ähnlich ihre Worte auf Englisch und Deutsch wirken, könnt ihr wie gesagt im Podcast „Letzte Lektüren“ hören. Ludwig und Maria lesen darin das titelgebende Gedicht „Erden“ und verschränken die deutschen und englischen Verse, was wiederum eine ganz eigene zauberhafte Wirkung entfaltet.

Ihr seht: Dieses schmale Buch hat seinen Weg in mein Herz gefunden. Immer wieder nehme ich es zur Hand, blättere darin, lese einzelne Passagen, ganze Gedichte, mal in der einen und mal in der anderen Sprache – und immer genieße ich diese unglaublich schöne Wirkung der Worte auf mich.

Nicht unerwähnt sollen an dieser Stelle die Fotografien von Annelies Štrba sein, die Schutzumschlag und Einband zieren und die Wirkung der Gedichte unheimlich gut einfangen und untermalen.

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