Rezension: „Junge mit schwarzem Hahn“ (Stefanie vor Schulte)

Rezensionsexemplar

Gerade Debütautor*innen haben es, wenn man sich den Buchmarkt ansieht, in Pandemiezeiten nicht leicht. Noch sind sie nicht bekannt und es gibt nur wenige Möglichkeiten, sich über Veranstaltungen dem Publikum vorzustellen. Deshalb habe ich bei der Vorstellung neuer Verlagsprogramme immer auch ein Auge auf die Debüts. Nicht nur sind diese ohnehin spannend – neue Stimmen, neue Ideen! – sie können auch mit Blick auf den Herbst mehr Aufmerksamkeit gebrauchen als bereits etablierte Namen.

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ging ich in die Vorstellungen der Verlagsprogramme für den Herbst 2021. Dadurch sprang mir „Junge mit schwarzem Hahn“ nicht nur wegen des ungewöhnlichen Titels ins Auge, sondern auch, weil es sich um einen Debütroman handelt.

Vielen Dank an den Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Links steht das Buch auf weißem Grund vor weißer Wand, rechts vom Buch ist ein weißer Blumentopf zu sehen, der wie eine Eule geformt ist. Eine Grünlilie wächst darin. Das Buch hat ein weißes Cover mit einem Gemälde über dem Titelschriftzug. Es zeigt eine Person in blau gekleidet vor rotem Hintergrund (vermutlich mit Blüten drumherum)
(Foto: S. Schückel)

Ein Junge mit einem schwarzen Hahn…

… ist zunächst einmal ein ungewöhnlicher Gedanke. Ich musste irgendwie direkt an das Märchen „Die goldene Gans“ denken. Ganz falsch lag ich mit dieser Assoziation nicht, denn Martin – besagter Junge mit schwarzem Hahn – lebt in einem Dorf in einer recht mittelalterlich wirkenden Zeit. Aberglaube und das Gesetz des Stärkeren regieren in dieser Welt ebenso wie grausame Fürstinnen.

Martin ist Waise und hat nur den Hahn zum Freund. Im Dorf wird er geduldet aber auch gefürchtet, denn der schwarze Hahn gilt als Symbol des Teufels, wenn nicht sogar als der Leibhaftige selbst. Im Gegensatz zu den Dorfbewohnern hat Martin einen erstaunlichen moralischen Kompass, ist selbstlos und trotz aller Vernachlässigung herzensgut und beinahe schon weise.

Irgendwann merkt er, dass er im Dorf keinen Platz mehr hat. Glücklicherweise ist zu dieser Zeit ein Maler im Ort, der ein großes Gemälde in der Kirche fertigstellt. Der Maler, der ebenso namenlos bleibt wie alle Orte im Buch, ist von der Güte Martins fasziniert und nimmt sich seiner an.

Martins Antrieb über all die Reisen und im Kampf mit unterschiedlichsten Hindernissen hinweg ist das Rätsel um verschwundene Kinder und die Reiter, die diese rauben.

Pinselstrich für Pinselstrich

Beim Titel dieses Buches war mein erster Gedanke, dass dieser auch unter einem Gemälde in einem Museum stehen könnte. Und so, wie der in der Geschichte lebende Maler Pinselstrich für Pinselstrich seine Werke auf Leinwand bringt, fügt Stefanie vor Schulte in diesem Roman geschickt nach und nach Details hinzu. Diese Vielschichtigkeit unter der Oberfläche vermeintlich einfacher Figurenkonstellationen hat mich sehr beeindruckt.

Besonders faszinierend fand ich den beschriebenen Kontrast zwischen Martin und den Erwachsenen um ihn herum. Während diese sich oft kindisch verhalten, ist Martin in seinem Verhalten kein wirkliches Kind. Stefanie vor Schulte tappt dabei auch nie in die Falle, ihn zu allmächtig wirken zu lassen. Er ist nach wie vor Opfer der Umstände, die ihn umgeben – wird jedoch im Gegensatz zu den Erwachsenen nie zum Täter. Selbst der Maler, der eigentlich nur Gutes will, kann seiner opportunistischen Seite nicht immer widerstehen. Einzig und allein Martins folgt bedingungslos seinem moralischen Kompass und wirkt dabei doch nie moralisierend.

„Im Wald sind alle Geräusche erloschen. Man muss seine eigenen mitbringen.“

Stefanie vor Schulte, „Junge mit schwarzem Hahn“, S. 47f.

Immer wieder staunte ich über Formulierungen, die zum Teil wie aus der Zeit gefallen zu sein scheinen und sich doch unheimlich modern anfühlen. Mich erinnerte der gesamte Roman durch den magischen Realismus – Stichwort: schwarzer Hahn – und die sehr poetische Sprache ein wenig an georgische Literatur. Beim Lesen musste ich an „Bittere Bonbons“ (herausgegeben von Rachel Gratzfeld) und die darin enthaltenen Geschichten georgischer Autorinnen denken.

Der schwarze Hahn

Vielleicht fragt Ihr Euch nun, ob ich noch etwas über den schwarzen Hahn schreiben werde, der ja titelgebend und ein wirklich wichtiger Baustein der Geschichte ist. Kurzum: Nein. Ich habe lange drüber nachgedacht, wie viel ich über den Hahn verraten kann oder sollte. Das kann Stefanie vor Schulte wesentlich besser als ich und tut es in ihrem Roman auf so zauberhafte Weise, dass ich Euch nur empfehlen kann, ihr Debüt selbst zu lesen und so mehr über den Hahn zu erfahren. Übrigens: Der Klappentext wird diesem Buch nicht wirklich gerecht – kann es aber auch gar nicht. Er sorgt zum Glück (zumindest bei mir) für genügend Neugier, dass mir dieses Buch nicht entgangen ist.

Seid Ihr neugierig auf die Geschichte? Habt Ihr sie vielleicht schon gelesen?

3 Gedanken zu “Rezension: „Junge mit schwarzem Hahn“ (Stefanie vor Schulte)

  1. Ja, ich war sehr neugierig auf die Geschichte, habe mich dann aber bei Lovelybooks dagegen und für „Shuggie Bain“ von Douglas Stuart und „Die Überlebenden“ von Alex Schulman entschieden. Ich dachte, „Der Junge mit dem…“ kann ich immer noch mal „zwischenschieben“. Jetzt bin ich natürlich neugieriger geworden…

    Debütautor*innen nehmen an Gewicht zu, wie ich finde. Finde es auch stark, dass einer unserer Lieblingsliteraturpodcast „blauschwarzberlin“ dazu auch jeden Monat spricht und empfiehlt. Selber lese ich mittlerweile sehr gern Debüts. Habe da schon wahre Perlen entdeckt und auch welche, die sich dann zu nun geliebten Autor*innen gemausert haben. Es ist immer schön, da von Anfang an begeistert dabei gewesen zu sein. Natürlich wird sich aber ein Wells besser verkaufen als eine Stefanie von Schulte ;). Schön, dass Du auch geraede bei den Debüts schaust über die Verlage!

    Liebe Grüße,
    Simone.

    • Hehe, ja aber auch ein Benedict Wells hat mal als Debütautor angefangen. Ich erinnere mich sogar an eine autorenbegleitete Leserunde zu „Fast genial“ – heute wäre das wohl kaum denkbar 😉

      Zum Buch: Ich kann es Dir wirklich nur ans Herz legen. Es ist ja auch gar nicht so umfangreich, die recht schnörkellose Sprache – die trotzdem sehr poetisch ist – macht es auch sehr leicht beim Lesen, man kommt flott durch. Ich glaube, Martins Geschichte könnte Dir sehr gut gefallen. Wenn ich mich recht erinnere, mochtest Du Krabat, richtig? Dann passt es wirklich. Eine gemütliche Leseecke, eine heiße Tasse Tee und dieses Buch 🙂

      (Nun kommen aber „Shuggie Brain“ und „Die Überlebenden“ auf meine Liste. Das ist ganz gefährlich hier mit diesen Kommentaren… 😉 )

      • Ja, ich kenne Wells noch als Debütautor und auch beim Signieren damals dazu auf der LBM gab es noch kaum Leute ;).

        Okay, ich hab das Buch schon auf meiner Wunschliste! Vielleicht tauscht es auch mal jemand auf FB. Flott durchkommen ist immer gut und wichtig. Krabat hatte Jule letztens gelesen. Bei mir SuBt es immer noch, schäm, dabei bin ich so oft in der Krabatmühle in Schwarzkollm.

        „Shuggie Brain“ wollte ich jetzt am Wochenende starten, hoffentlich trudelt es noch davor ein, die anderen der Leserunde haben schon ihr Exemplar, zitter. Danach lese ich „Die Überlebenden“. Du wirst dann von mir lesen. Hoffentlich schaffe ich es zeitlich, denn im Moment ist Stress pur bei mir angesagt.

        Liebe Grüße

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