Zurück zu einem Lieblingsbuch – Rezension: „Spinner“ (Benedict Wells)

Rezensionsexemplar

Vor vielen Jahren las ich Benedict Wells‘ „Spinner“. Es handelte sich damals um die noch nicht vom Autor neu überarbeitete Ausgabe. Von dieser schreibt er auf seiner Webseite, dass sie um einiges stimmiger sei als die „Urversion“. Ich mochte das Buch schon damals.

Vor Kurzem ist nun das Hörbuch zum überarbeiteten, 2016 erneut veröffentlichten, „Spinner“ erschienen. Ich habe eine Affinität für Stimmen, konnte aber eigentlich mit Hörbüchern über lange Zeit nicht viel anfangen. (An anderer Stelle werde ich mal erklären, wie ich über Umwege dennoch zu diesem Medium kam.) Trotz meines schwierigen Verhältnisses zu Hörbüchern, wollte ich diesem hier unbedingt eine Chance geben. Ich mag die Stimme des Autors und erinnere mich noch gut an eine Lesung in Dresden, als ich mittendrin plötzlich dachte: „Könnte er bitte seine eigenen Bücher einsprechen?“

Nun, das hat er jetzt bei einem Buch getan und ich habe es mir angehört.

Auf weißem Grund: Unten mittig liegt die Schachtel des Hörbuchs, zu sehen ist darauf auch die Illustration des Buchcovers, ein junger Mann mit Zigarette im Mund. Oben schräg liegt aufgeklappt das Heftchen zu, Hörbuch mit der Inhaltsübersicht.
(Foto: S. Schückel)

Der alte und der neue Spinner

Die Geschichte über Jesper Lier las ich 2016 und hatte dabei die Urversion vor mir. Die neue Version muss kurz danach erschienen sein oder ich hatte einfach großes Glück diese Ausgabe noch zu ergattern. Wie dem auch sei: Ich las besagte „Urversion“ und sie gefiel mir.

Nun bin ich älter geworden und sehe durchaus, wo der „Ur-Spinner“ etwas sehr holpert oder das Potential der Idee nicht ganz ausgeschöpft wurde. So, wie ich meine Rezension (siehe oben) von damals mit leicht zusammengekniffenen Augen lese und manches heute vielleicht anders schreiben würde.*

Das Hörbuch, das die neue Version umfasst, holpert dagegen wesentlich weniger. Ja, Jesper Lier wirkt durchaus immer noch etwas überdreht, etwas anstrengend und manchmal habe ich die Augen verdreht, weil diese Figur sein Leben einfach nicht auf die Reihe zu kriegen schien. Aber das ist auch genau das, was mich nach wie vor an der Geschichte fasziniert. Es gibt eben Phasen – gerade als junge*r Erwachsene*r, da hat man keine Ahnung von dem, was man will. Man verrennt sich in irgendwelche Hirngespinste und stolpert dabei mehr als nur einmal. Und wenn wir ehrlich sind: Das bleibt so, das Leben holpert immer mal wieder und wir können nur versuchen, das Beste daraus zu machen.

Diese Erkenntnis arbeitet Benedict Wells in der neuen Version von „Spinner“ stärker heraus. Auch thematisiert er manchen Bruch in Jesper Liers Leben sensibler, verliert dabei aber gleichzeitig nicht die Übertreibungen, die diese frühe Geschichte von ihm so besonders machen.

Auf weißem Grund: die weiße Hörbuchschachtel mit der Illustration des rauchenden jungen Mannes. Darüber wie aufgefächert die einzelnen Hüllen der CDs, die ebenfalls dieses Motiv tragen.
(Foto S. Schückel)

Jesper Lier in meinen Ohren

Jesper schreibt und wohnt zwar in einer Bruchbude in Berlin, kommt aber ursprünglich aus Bayern. Benedict Wells wurde in München geboren und lebte und schrieb einige Zeit in einer Wohnung in Berlin, die – so seine Worte nach einer Lesung – eine mindestens ebenso schreckliche Dusche umfasste wie die von Jesper. Der Bayerische Akzent des Autors und ein Teil seiner Biografie legen also nahe, dass er selbst das Hörbuch einspricht.

Während Jesper Lier oft ungestüm wirkt, unbedacht handelt und trotz aller pessimistischer Lethargie irgendwie aufgekratzt ist, stellt Benedict Wells‘ Stimme einen ruhigen Gegenpol dar, ohne der beschriebenen Woche die Absurdität zu nehmen. Das ist ein Balanceakt, denn Jespers Ideen, seine Übersprunghandlungen und die Verzweiflung in seiner aktuellen Situation sind eben das: absurd. Benedict Wells Art und Weise vorzulesen wird jedoch der Logik gerecht, die aus Jespers Sicht in allen Erlebnissen steckt. Ob es nun die zwei merkwürdigen Typen sind, die ihn verfolgen oder seine beinahe obsessive Faszination für Miri: Er wirkt trotz allem glaubhaft.

Natürlich liegt diese Glaubhaftigkeit schon den geschriebenen Worten zugrunde, doch Benedict Wells gelingt es, sie ebenso über seine Stimme zu transportieren wie auch alles Absurde. Nach nur wenigen gelesenen Worten trat für mich der Autor hinter der Stimme zurück und es überwog das Gefühl, Jesper Lier zu begleiten.

Auf weißem, Grund: Oben mittig die hörbuchschachtel, darunter schräg das Buch. Beides hat ein weißes Cover, beide zeigen den rauchenden jungen Mann.
(Foto: S. Schückel)

Hörbuch oder Buch?

Nun kenne ich Jesper Liers Geschichte in mehreren Versionen – geschrieben, gesprochen, alt und neu – und die naheliegende Frage lautet wohl, welche Version mir davon am besten gefällt?

Darf ich mich ganz diplomatisch aus der Affäre ziehen und „alle“ sagen?

Nein?

Dann vielleicht so: Mir gefällt die Geschichte bzw. die Version am besten, die zum jeweiligen Zeitpunkt mein Leben berührt hat. Der „alte“ Jesper begegnete mir mit 26 als ich zwar schon einen Plan aber noch keine Ahnung von meinem Leben hatte. Dem „neuen“ Jesper hörte ich mit 31 zu, nachdem ich auf teils sehr schmerzhafte Weise lernen musste, dass jeder Plan umgeworfen werden kann und jede Ahnung vom Leben wohl reine Illusion ist. Beide Male habe ich von Jesper viel mitgenommen, beide Male habe ich es sehr genossen, Zeit mit ihm zu verbringen. Und wer weiß, was er mir in weiteren fünf Jahren beibringt?

Wie geht es Euch: Wenn es eines Eurer Lieblingsbücher als Hörbuch (vielleicht sogar gelesen von der*dem Autor*in) gibt, hört Ihr es dann erneut?

* Erinnert mich bitte in fünf Jahren daran, diese Worte hier mit ähnlichem Gruselfaktor erneut zu lesen.

2 Gedanken zu “Zurück zu einem Lieblingsbuch – Rezension: „Spinner“ (Benedict Wells)

  1. Pingback: Wie ich zu Hörbüchern kam | Studierenichtdeinleben

  2. Ich muss sagen, „Spinner“ würde ich mir direkt noch als Hörbuch zulegen. Ich habe die Urfassung hier, aber so neu überarbeitet gelesen von Benedict Wells, klingt es verlockend. Die früheren Werke von ihm sind nicht meine Lieblinge, im Gegentgeil. Und schade, zur Zeit liegt keine längere Autofahrt an ;).

    Liebe Grüße,
    Simone.

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