Vielleicht hat 2020 mich in mancherlei Hinsicht merkwürdig werden lassen: Neuerdings höre ich Hörbücher. Ja, richtig gelesen: Ich, die ich über lange Jahre gesagt habe, dass Hörbücher nichts für mich sind, sitze neuerdings erstaunlich oft mit Kopfhörern da. Vielleicht geht es Euch ja ähnlich und Ihr würdet zwar gerne Hörbücher hören, kommt aber einfach „nicht rein“. Eventuell könnte dann mein relativ zufällig gefundener Weg etwas für Euch sein.
Aber von vorne:
Weshalb ich über lange Zeit keine Hörbücher gehört habe, lässt sich ganz einfach zusammenfassen. Ich konnte mich nicht auf die Sprecher*innen konzentrieren. Nach gefühlten fünf Minuten war ich gedanklich ganz woanders, nur halt nicht in der jeweils erzählten Geschichte.
Dabei bin ich eigentlich ein sehr stimm-affiner Mensch. Das erste, was ich an mir fremden Personen wahrnehme, ist in der Regel die Stimme. Das merke ich besonders, wenn ich telefonisch Termine mit mir unbekannten Personen ausmachen muss. Ist eine Stimme direkt am Telefon sympathisch, fällt mir diese Aufgabe wesentlich leichter, als wenn ich die Stimme nicht „mag“. Die jeweiligen Personen dahinter können sich dann dennoch als die nettesten Menschen entpuppen und wir können gut zusammenarbeiten – aber im Endeffekt habe ich meine „Favoriten-Stimmen“. Im Übrigen bin ich nicht sonderlich gut im Merken von Gesichtern. Sobald jemand mit mir spricht, kann ich jedoch viel leichter zuordnen, woher ich die jeweilige Person kenne.
Bei Hörbüchern ist deshalb auch die Stimme sehr entscheidend für mich, aber nicht nur. Hörbuchsprecher*innen haben alle insgesamt recht angenehme Stimmen – allein meine Konzentration reichte lange Zeit nicht für die Inhalte aus.
Vom Podcast zum Hörbuch
Vor einigen Jahren gewann ich ein Hörbuch, stellte fest, dass diese Form des Buchlesens nichts für mich ist und legte das Thema ad acta. Dann bekam ich die „Känguru-Chroniken“ von Marc-Uwe Kling in Hörbuchform geliehen, stellte fest, dass das gar nicht so übel ist, kannte aber schon die Bücher und ignorierte das für mich diesmal besser „funktionierende“ Hörbucherlebnis weitgehend.
Dann kamen Podcasts. Und auch da, das gebe ich gerne zu, war ich zunächst lange Zeit skeptisch. Wieso sollte ich anderen Menschen zuhören, wenn die Inhalte sich viel leichter als Texte konsumieren ließen? Podcasts wirkten auf mich zunächst entweder wie Hörbücher (d. h. langweilig), weil es nur ein*e Sprecher*in gab. Oder wie nervige Talkrunden, in denen mehrere Sprecher*innen wild durcheinander sprachen. Auch das war wenig sexy.
Der Weg zum Podcast und dann letztlich wirklich zu Hörbüchern war schleichend und führte über die Stories bei Instagram über Umwege zum Hörbuch. Auf Instagram gab es die mittlerweile legendären Wein-Abende meiner Lieblingsbuchhändlerin Maria-Christina Piwowarski in denen sie im nächtlichen ocelot in Berlin Buchtipps gab. Buchtipps, ocelot, Maria – diese Kombination zog bei mir und ich hörte begeistert zu. Dabei bemerkte ich immer mal wieder, dass ich wirklich nur zuhörte, während meine Hände durchaus auch anderweitig beschäftigt waren (Häkeln, Wäsche aufhängen oder legen…).
Kurzum: Reine Hörinhalte funktionierten.
Es dauerte jedoch noch einige Zeit, bis ich wirklich Podcasts fand, die mir gefielen und die ich regelmäßig hören wollte. Natürlich ist der Buchpodcast „Letzte Lektüren“ von blauschwarzberlin da ganz vorne mit dabei. Und dann gab es noch das „Team Totale Zerredung“ von André Herrmann und Julius Fischer, ein sogenannter „Laberpodcast“ der sich irgendwie durch die absurden Gags und Ideen der beiden auszeichnete. Letzterer Podcast hat mich übrigens (LINK) besonders durch eine Phase begleitet, in der Lesen unmöglich schien.
Jetzt, 2021 kam dann ein „richtiges“ Hörbuch dazu. Eines mit längeren Kapiteln, die nicht alle in einer witzigen Pointe enden und die man im Zweifel auch im Shuffle-Modus hören könnte (wie es bspw. bei den „Känguru-Chroniken“ möglich ist): „Spinner“ von Benedict Wells, zu dem ich hier schon einiges geschrieben habe.
Tja. Plötzlich, ohne wirklich zu wissen, was da passiert war, lauschte ich anderen Menschen, während ich kochte, meine Wohnung putzte oder draußen zu Fuß unterwegs war. Die Kombination aus sehr angenehmen Stimmen und spannenden Gesprächen machte es scheinbar möglich, dass mein Kopf nicht nach besagten fünf Minuten wieder ausstieg.
Vom Bild zur Stimme
Nun hat mein Kopf manch eine Eigenschaft, die mich neugierig macht, woher sie kommt. Ob es meine Synästhesie in Bezug auf Zahlen ist (Zahlen haben Farben, die 3 ist z.B. eindeutig grün), die Tatsache, dass ich mit fortschreitender Müdigkeit nicht mehr merke, welche Sprache ich spreche (dabei bin ich einsprachig aufgewachsen) oder halt meine Stimmaffinität: Ich überlege gerne, wieso mein Gehirn so tickt wie es tickt.
Neurologisch kann ich es natürlich nicht erklären, aber ich habe eine Vermutung, wie der Prozess ins Rollen kam und vielleicht hilft Euch das ja auch weiter:
Ich habe von allen oben genannten Sprecher*innen Bilder im Kopf. Ich habe Maria – und jetzt bei blauschwarzberlin – auch Ludwig vor Augen, wenn über Bücher gesprochen wird. Ich war bei Lesungen von André Herrmann und Julius Fischer und habe auch Benedict Wells mehrfach live lesen hören dürfen.
Das wirklich Interessante ist, dass sich das nun auf andere Menschen übertragen lässt. Ich höre noch weitere Podcasts (z.B. „Eat.Read.Sleep“ oder „Beats & Bones“) und habe diese Personen nie live oder auf Fotos gesehen. Aber irgendwie hat mein Gehirn es nun geschafft, sich auf Hörinhalte einzustellen. Klar gelingt das nicht immer und schon gar nicht bei jeder Stimme, aber insgesamt doch erstaunlich oft. Zumindest, wenn ich drüber nachdenke, wie lange ich ohne Hörinhalte ausgekommen bin.
Und nun?
Bin ich jetzt voll auf Hörbücher umgestiegen? Wird Spotify im Jahresrückblick nur noch Hörbuchinhalte in der Statistik führen? Ächzen die Regale unter der Last physischer Hörbücher?
Nein.
Nur, weil ich jetzt einen Weg in die Welt der Hörbücher gefunden habe, heißt das nicht, dass ich nur noch dort zu finden sein werde. So gerne mag ich Hausarbeit nun wirklich nicht und dadurch, dass ich nebenbei Beschäftigung für meine Hände benötige, höre ich Hörbücher auch in wesentlich langsameren Etappen.
Der große Nachteil an Hörbüchern ist für mich nach wie vor, dass ich mir keine Textstellen markieren kann. Ich freue mich jedoch, immer mal wieder Hörbücher – gerade im Streaming-Angebot – anzuschalten und so auch Titel zu entdecken, die ich mir dann vielleicht noch einmal in Textform holen könnte.
Ich habe also erfolgreich einen weiteren Weg gefunden, wie ich den Füllstand der Regale und des E-Readers in die Höhe treiben kann.* Deshalb: Seid vorsichtig, wenn Ihr ebenfalls Hörbücher für Euch entdecken solltet.
Gehört Ihr zum „Team Hörbuch“?
*Für weitere Tipps, könnt Ihr hier weiterlesen.
Hörbücher gehen bisher nur wenige. Kommt ganz stark auf die Sprecher:innen an. Neil Gaiman funktioniert super, dem könnte ich stundenlang zuhören. Jasmin Zipperling hat mich auf Christoph Maria Herbst, der „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ eingelesen hat gebracht. Das Buch kann ich fast auswendig und werde es mir mal von ihm gelesen anhören.
Oh von CM Herbst habe ich vor x Jahren mal „Ein Traum von einem Schiff“ gehört – ich habe mich vor Lachen weggeschrien! Wenn Du das mal findest, auch unbedingt probieren. Das ging damals schon, als ich Hörbücher noch nicht wirklich gut hören konnte. Aber dieser Wunschpunsch klingt ebenfalls lustig, danke für den Tipp. Und Neil Gaiman geht sowieso immer 😀 Da hoffe ich, dass das auch zum Hören bei mir klappt 😀
Du kennst den Wunschpunsch nicht? Michael Ende. Meine Ausgabe sieht sehr gelesen aus. Einfach wunderbar.
Danke für den Tipp, schaue ich mal nach.
Liebe Sahra,
Hörbücherer gehen bei mir. Aber ich habe schlicht keine Zeit dafür, habe aber auf längeren Autofahrten gemerkt, dass es da wunderbar funktioniert. Podcasts habe ich mir schon ganz viele gespeichert, aber wann hören!? Sogar unsere Lieblinge blauschwarzberlin konnte ich noch nicht so hörerisch verfolgen. Aber irgendwann… vielleicht… ich gebe die Hoffnung nicht auf.
Liebe Grüße,
Simone