Rezension: „Hinter dem Rauschen der Welt klopft das Herz“ – Julie Weißbach

Rezensionsexemplar

Vor vielen Wochen bekam ich eine E-Mail mit einem Rezensionsvorschlag, der sich deutlich von den Massenmails unterschied, die wir Menschen mit Buchblog so häufig erhalten.

Julie Weißbach stellte mir darin „Hinter dem Rauschen der Welt klopft das Herz“ vor, das ein „Gedankenbilderbuch“ sei – so, wie es auch der Untertitel verspricht. Ich war neugierig, sah mich auf ihrer Webseite um und sagte schließlich zu.

Dann kam jedoch das Leben dazwischen. Das machte es nicht einfacher, mich auf Bücher zu konzentrieren oder ihnen gar in einer Rezension gerecht zu werden. Aus Sicht einer Leserin sind Konzentrationsprobleme schon schwierig genug – aus Sicht einer Bloggerin sind sie kaum zu ertragen.

Hinweis: Im folgenden Text findet sich ein Absatz mit einer Triggerwarnung (TW). Die TW bezieht sich lediglich auf diesen Absatz, überspringt ihn im Zweifel einfach.

Foto des Buches auf weißem Hintergrund. Links neben dem Buch ist eine Efeupflanze, deren Ranke zum Teil das Buch verdeckt. Das Buch ist dunkelgrün, die Schrift weiß. Das Cover zeigt eine Illustration einer Frau, die auf einem Balkon sitzt. Man blickt auf sie durch die geöffnete Tür hindurch.
(Foto: S. Schückel)

Lesen von Bild und Wort

Eine Besonderheit an Julie Weißbachs Buch ist, dass sie sämtliche Illustrationen selbst entworfen hat und man so nicht nur über die Worte einen Einblick in ihre Gedankenwelt erhält. Es waren dann auch die detailreichen Illustrationen, die mich in das Buch eintauchen ließen. Trotz der Kürze der Gedichte und Geschichten in diesem schmalen Band, waren die Worte zu Beginn einfach zu viel. Also blätterte ich immer wieder durch das Buch und betrachtete Bild um Bild.

Dabei fiel mir auf, wie ähnlich diese Herangehensweise meinen ersten Leseversuchen war: Als Kind – ich erningelte mir ersten Leseunterricht als ich knapp 5 Jahre alt war – betrachtete ich zuerst die Zeichnungen in meinen Büchern. Dadurch ahnte ich, welche Worte mich erwarten könnten und es fiel mir im Anschluss leichter, die Buchstaben zu sinnvollen Gebilden zusammenzusetzen.

Ob der Blick auf beschuhte Füße, die auf Kopfsteinpflaster stehen oder Mensch, der auf einer Schaukel sitzt, die an einem Baum schwingt: Julie Weißbach fängt mit ihren Illustrationen auf teils sehr einfache Weise Situationen ein, die eine ganze Bandbreite an Emotionen transportieren. Es sind Situationen, die vertraut sind – eine innige Umarmung, die Beobachtung eines Fremden im Café – und solche, die vielleicht nur in unseren Köpfen existieren – imaginäre Fäden an unseren Gliedmaßen oder unser Ranken schlagendes Herz.

Ich war zunehmend fasziniert von dem, was diese Bilder in meinem Kopf auszulösen vermochten und ganz langsam erarbeitete ich mir dann auch die Worte.

Zu sehen ist das aufgeschlagene Buch auf weißem Hintergrund. Im Vordergrund links steht die Efeupflanze und verdeckt den Text auf der linken Buchseite. Rechts ist eine Illustration in Beigetönen zu sehen, die zwei Vorderarme zeigt, an deren Handgelenken Schnüre wie bei einer Puppenspiel-Figur sind.
(Foto: S. Schückel)

Fremde bekannte Gedankenwelten

„Hier geht’s lang, ich kenne den Weg“, sagt das Leben und nimmt meine Hand. „Wo warst du die ganze Zeit?“, frage ich erstaunt. „Na hier“, antwortet es verdutzt.

(Ausschnitt „Neuland“, S. 68 bzw. Klappentext)

Der Übergang vom Betrachten der Illustrationen zum Lesen der Texte war für mich sehr flüssig, was auch wieder zeigt, wie gut die Bilder und die Worte von Julie Weißbach zueinander passen. Mal sind es Gedichte, mal kurze Geschichten – jedoch sind die Übergänge zwischen den Textformen fließend. Das liegt auch an der unheimlich poetischen Ausdrucksweise, die mich sehr berührt hat.

In ihrer E-Mail an mich schrieb die Autorin, dass Benedict Wells‘ Bücher großen Eindruck auf sie gemacht haben und sie zu einigen Texten inspirierten. Ich selbst zähle seine Geschichten – wie allen, die diesem Blog folgen, bewusst sein dürfte – zu meinen absoluten Lieblingen. Dementsprechend gespannt war ich auf die Texte im „Gedankenbilderbuch“. Und etwas skeptisch war ich auch.

Sucht man Ähnlichkeiten zu Benedict Wells‘ Geschichten, dann können sie definitiv gefunden werden. Beispielsweise heißt ein Text „Alleinsam“, ein recht seltenes Wort, dass sich in einer Kapitelüberschrift in Wells‘ Werk „Spinner“ findet und das zu meinen Lieblingsworten (ja, die habe ich) gehört. Auf meine Nachfrage beim Dudenverlag via Twitter erfuhr ich, dass das Wort seit 2014 als Synonym zu „Einsamkeit“ im Synonymwörterbuch zu finden ist und man es online seit 2018 finden kann. Das Buch „Spinner“ erschien übrigens erstmals 2009, was ich in diesem Zusammenhang ganz spannend finde.

Diese Ähnlichkeit zwischen Weißbachs und Wells‘ Worten ist jedoch die offensichtlichste. Viel subtiler ist, dass die Texte von Julie Weißbach in mir ähnliche Emotionen auslösten wie die von Benedict Wells: Ich fühlte mich von ihren Worten geborgen und verstanden, so als hätte sie einige meiner eigenen Gedanken aufgeschrieben. Gleichzeitig hatte ich nie den Eindruck, dass es keine eigenständigen Texte wären – im Gegenteil: Abgesehen von dem Wort „Alleinsam“ kam mir zu keinem Zeitpunkt des Lesens der Gedanke, dass diese Texte wie Wells‘ Geschichten sind.

Besonders gefiel mir die Übertragbarkeit der meisten Texte, da sie – bis auf wenige Ausnahmen – von jeder Person so gedacht oder beobachtet werden könnten. Dabei rutscht Julie Weißbach gleichzeitig zum Glück nicht in Plattitüden ab, die auf jedem 0815-Sprüche-Kalender stehen könnten. Man merkt, dass ihre Gedanken – so wie die eigenen ja auch – wesentlich komplexer sind.

An wenigen Stellen hätte ich mir sogar gewünscht, dass ihre Worte noch ein klein wenig konsequenter auf die Allgemeinheit übertragbar wären. Beispielsweise beim Text „Neben der Spur“, der [Triggerwarnung: Unfall] beschreibt, wie schnell durch eine Unachtsamkeit in alltäglichen Situationen etwas fürchterlich schief gehen kann. Er ist universell, könnte in jede Sprache übersetzt werden, da viele Menschen wohl schon ähnliches erlebt haben. Mir ging dieser Text aufgrund einer eigenen Unfallerfahrung sehr nahe.  Was mich jedoch störte war der Einschub, dass in der Situation jemand etwas „in holprigem Deutsch“ stammelte. Hierbei wurde ich gedanklich aus der Ähnlichkeit zu meinem Erlebnis herausgerissen. Der tröstliche Eindruck, das was ich erlebt habe, würden viele Menschen mit mir teilen, nahm dadurch leider ein Stück ab.

Insgesamt jedoch überwog beim Lesen das Gefühl der ähnlichen Gedanken und ich hoffe sehr auf einen zweiten Band dieser Art.

Zu sehen ist das aufgeschlagene Buch vor weißem Hintergrund. Rechts ist der Textblock, den man nicht vollständig lesen kann. Links ist eine in dunkelblauen Farbtönen gehaltene Illustration zu sehen. Eine Person drückt die Hand gegen eine Scheibe auf der ein mit einem Finger in den Schmutz gemaltes Herz ist.
(Foto: S. Schückel)

Eine Gedankenreise mit Rückkehrgarantie

In „Hinter dem Rauschen der Welt klopft das Herz“ nimmt man die Rolle der beobachtenden Person ein, die neugierig und nachdenklich die Welt um sich herum betrachtet, Muster erkennt, über Zusammenhänge sinniert und selbst in Gedankensprüngen den roten Faden nie verliert. Dieser rote Faden ist die Faszination am Leben selbst und welche Kapriolen es zu schlagen vermag, die uns immer wieder erneut herausfordern. Gleichzeitig wird – ohne erhobenen Zeigefinger – deutlich, dass wir bei dieser Achterbahnfahrt nie den Mut verlieren sollten.

Ich kann übrigens die Herangehensweise, ein Buch – dieses Buch! – erst durch seine Illustrationen auf sich wirken zu lassen, sehr empfehlen.

Ein Gedanke zu “Rezension: „Hinter dem Rauschen der Welt klopft das Herz“ – Julie Weißbach

  1. Von Herzen danke für deine Gedanken und berührenden Worte zu meinem Gedankenbilderbuch, liebe Sarah. Ich finde es wundervoll, wie du dich herangepirscht, über die Bilder genähert und dich schließlich hast mitnehmen lassen dorthin, wo sich dein eigener innerer Raum öffnen konnte. Das ist das schönste Kompliment von allen. „Alleinsam“ habe ich für mich übrigens aus den Worten „Allein“ und „Gemeinsam“ zusammengebaut, weil es genau dieses Spannungsfeld des „Zusammen-Allein-Seins“ beschreibt. Wie schön zu erfahren, dass es dieses Wort tatsächlich gibt und dass es auch in einem der Bücher von Benedict Wells seinen Platz hat- das hatte ich nicht mehr in Erinnerung. So schließt sich der Kreis ganz unabsichtlich. Wie schön. Danke für deine Zeit. Deine Worte bedeuten mir viel. Herzlich, Julie

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