Rezension: „Kommando Flächenbrand“ (Markus Heitz)

Wann immer man im Moment die Nachrichten einschaltet oder auf die entsprechenden Webseiten geht, liest und sieht man Beiträge über die Flüchtlingskrise. Dabei wird irgendwie häufig das Gefühl vermittelt, es handele sich um ein neues Phänomen – um etwas Unerwartetes.

Dabei ist die Thematik bekannt. Seit Jahren sterben Flüchtlinge auf dem Mittelmeer, seit Jahren versuchen sie, Krieg, Verfolgung und Elend zu entkommen.

Schon 2008 schrieb Markus Heitz Kurzgeschichten – oder eher Novellen – die diese Entwicklung aufgreifen. Heute sind die Werke aktueller denn je. Erschienen als eBook im neuen edel & electric Verlag, zeigen sie eindringlich, dass Markus Heitz nicht nur das Genre der Fantasy perfekt beherrscht.

Vielen Dank an dieser Stelle für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.

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(Foto: Privat)

Inhalt

Die erste Geschichte dieses Buches ist – wie letztlich auch die anderen – ein Gedankenexperiment. In dieser ersten „Was wäre wenn“-Situation wird angenommen, dass ein engagierter und respektierter Arzt das Elend auf dem afrikanischen Kontinent nicht länger mit ansehen kann und den geordneten Exodus aus dem geschundenen Stück Erde vorantreibt. Flüchtlinge lässt er – nicht zu Hunderten, sondern zu Tausenden – kostenfrei nach Europa übersetzen. Wie reagieren Europa und der Rest der Welt darauf?

Gedankenexperiment zwei spielt in Deutschland. Tim, Unternehmerssohn und Großerbe, will maßgeblich etwas verändern und für mehr Gerechtigkeit in Deutschland sorgen. Dazu gründet er „Kommando Flächenbrand“, das nicht nur den Buchtitel stellt, sondern auch eine Terrorgruppe bezeichnet. Im Gegensatz zu anderen Terrorgruppen sollen durch sie jedoch keine Menschen zu Schaden kommen – vielmehr ist das Ziel, moralisch verwerfliche Machenschaften von Politikern und Wirtschaftsvertretern offenzulegen und der breiten Masse des Volkes eindrucksvoll vor Augen zu führen. Wie könnte so etwas funktionieren?

Die dritte und vierte Geschichte sind kürzer als die ersten und haben die Besonderheit, dass der Autor direkt Anregungen zur Interpretation mitliefert. Zudem befassen sie sich mit dem, was für Menschen auf der Flucht Alltag ist: Dem umbändigen Überlebenswillen und der immerwährenden Bedrohung.

Mein Eindruck:

Markus Heitz‘ Schreibweise lässt einen vom ersten Moment an nicht mehr los. Das Buch kann man nur schwer aus der Hand legen und man läuft durchaus Gefahr, dass man die richtige Haltestelle zum Aussteigen verpasst. Besonders beeindruckend: Heitz schreibt schnörkellos und schonungslos – und doch nie geschmacklos. Auch Szenen, die den Leser emotional beinahe überfordern, beschreibt er beinahe gelassen. Pointen fallen dabei wie Guillotinen und sind dadurch noch schockierender und noch endgültiger.

Ebenso faszinierend ist das Paradox, das man beim Lesen erfährt: Man möchte – wie im echten Leben auch? – die Augen verschließen vor den Dingen, die Heitz in eben dieser schonungslosen Weise beschreibt. Doch im Gegensatz zum echten Leben gelingt das nicht. Man muss lesen, man muss erfahren, was passiert. Man ahnt den Ausgang der Geschichte und möchte eigentlich aussteigen, aber das geht nicht – wie im echten Leben auch.

Ein besonderer Kniff ist wohl die eingebaute Interpretationshilfe, die den Wunsch verstärkt, dieses Buch möge es in jedes Klassenzimmer und in jeden Hörsaal Deutschlands und Europas finden. „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen,“ hört man Immanuel Kant beinahe im Hintergrund dieser Denkanregungen flüstern – und Franz Kafka fügt leise hinzu:

Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.

Fazit:

Dieses Buch verlangt viel von seinem Leser, nämlich eben jenen Mut, sich auch nur den eigenen Gedanken zu stellen, oder gar die Gedanken anderer mit dem Gelesenen zu konfrontieren. Es verlangt den Mut, die Axt auf das mehr oder minder gefrorene Meer in uns anzuwenden.

Gerade als Dresdnerin möchte ich dieses Buch am liebsten jedem in die Hand drücken, der täglich in der Straßenbahn Stammtischparolen und Montags noch Schlimmeres von sich gibt. Ich möchte Lehrer dazu bewegen, den Lehrplan einfach mal zu ignorieren und dieses Buch zu besprechen. Ich möchte Professoren und Dozenten an den Unis auffordern, ihren Studenten die Lektüre nahezulegen.

Vergleiche mit großen Klassikern hinken immer – weshalb ich nur ungerne auf sie zurück greife. In diesem Fall kann ich meinen persönlichen Eindruck jedoch nicht anders beschreiben: Markus Heitz‘ „Kommando Flächenbrand“ ist ebenso schonungslos, ebenso mitreißend und ebenso grausam gut wie George Orwells „1984“.

Man kann sich nur wünschen, dass die Welt „Kommando Flächenbrand“ – im Gegensatz zu „1984“ – nicht wieder als Vorlage für eine Reality-Show versteht.

5 von 5 Sternen.

Mehr zum Buch:

  • Preis: 4,99 €
  • Format: Kindle Edition
  • Dateigröße: 899 KB
  • Seitenzahl der Print-Ausgabe: 146 Seiten
  • Verlag: edel & electric (5. Oktober 2015)

4 Gedanken zu “Rezension: „Kommando Flächenbrand“ (Markus Heitz)

  1. Hört sich enorm interessant an! Ich lese eigentlich wirklich nie eBooks (hab auch gar keinen Reader), aber vielleicht hole ich mir das dann, um die Vorzüge eines Smartphones auch mal zu verwenden ^^

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