Rezension: „Die Maske“ (Fuminori Nakamura)

Ursprünglich sollte Fuminori Nakamuras Roman mein erster Ausflug in die japanische Literatur werden. Schlussendlich kam dem dann doch der erste Teil von Murakamis „Die Ermordung des Commendatore“ zuvor. Als ich die Ankündigung von „Die Maske“ in der Vorschau des Verlags sah, musste ich sofort an „Vincent“ von Joey Goebel denken. Wie mir mein zweiter Ausflug in das literarische Japan gefallen hat und ob die Assoziation mit Joey Goebel gehalten hat was sie versprach, könnt Ihr nun im folgenden lesen.

Vielen Dank an den Diogenes Verlag, der mir das Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat.

(Foto: S. Schückel)

Worum geht es?

Das Gedankenspiel hinter dieser Geschichte ist denkbar einfach: Was, wenn es in einer Familie die sehr befremdende Tradition gibt, den jeweils jüngsten Sohn dazu zu erziehen, dass dieser das größtmögliche Übel über die Menschheit bringt. Fumihiro ist dieser Sohn. Er stammt aus der mächtigen Kuki Familie und soll so viel Unglück und Zerstörung bewirken, wie es für einen einzelnen Menschen nur möglich ist. Fumihiro jedoch hat etwas anderes vor und will um jeden Preis den Plan seines Vaters vereiteln und das Waisenmädchen Kaori, das von seiner Familie aufgenommen wurde, beschützen.

Mein Eindruck:

In Joey Goebels „Vincent“ ging es darum, dass die Hauptfigur möglichst großes Unglück am eigenen Leib erleben sollte, um möglichst großartige Kunstwerke zu schaffen. Fuminori Nakamuras Idee ähnelt dem ein wenig und gerade dieses Gedankenspiel hat mich zugleich befremdet und fasziniert. Kann man jemanden zum Bösen erziehen? Vermutlich, denn die Werte, die in der Erziehung vermittelt werden, müssen nicht unbedingt solche sein, die das Zusammenleben mit den Mitmenschen erleichtern. Merkt derjenige, der so erzogen wird, ob und in welche Richtung die Beeinflussung stattfindet? Diese Frage ist weniger einfach zu beantworten. In Nakamuras Roman wirkt es zumindest so, als würde Fumihiro sehr wohl wissen, was im generellen moralischen Konsens als gut und was als schlecht empfunden wird. In diesem Punkt fand ich das Gedankenspiel deshalb nicht konsequent umgesetzt – vielmehr wirkte es so, als würde sich Fumihiros Vater erst spät dazu entschließen, seinen Sohn zur Wurzel allen Übels formen zu wollen.

In gewisser Weise ist der daraus resultierende innere Konflikt Fumihiros nur durch diese scheinbar späte – wenn auch von langer Hand geplante – Entscheidung möglich. Wäre er schon vom ersten Moment seines Lebens an dazu erzogen worden, seinen Mitmenschen größtmögliches Leid zuzufügen, hätte die gesamte Handlung wohl einen anderen Verlauf nehmen müssen.

Trotz der Inkonsequenz, die bei der Umsetzung der Idee also zu finden ist, sind die daraus resultierenden Konsequenzen in der Handlung sehr spannend – und durchaus nachvollziehbar – zu lesen. Fumihiro muss sich entscheiden: Entweder, er wird zum Übel, wie sein Vater es geplant hat, oder aber er bringt seinen Vater um – und macht ihn das nicht dennoch zu einem bösen Menschen? Nakamuras schnörkellose Sprache unterstreicht den Eindruck, dass Fumihiros Charakter an der Komplexität seines moralischen Dilemmas zu zerbrechen droht. Genau dieser Kontrast hat mich Seite um Seite in den Bann gezogen.

Zudem kommt man selbst ins Grübeln: Welche Entscheidung würde man selbst treffen? Gibt es einen moralisch akzeptablen Ausweg, wenn jede Entscheidung, die man trifft – und man muss eine Entscheidung treffen – etwas böses bewirkt? Ich mag Bücher, die derartige Reaktionen in mir hervorrufen. Ich habe das Gefühl, mich durch solche Fragen auch weiterzuentwickeln – und außerdem ist das ein echt spannendes Diskussionsthema mit Freunden.

Fazit:

Fuminori Nakamura macht aus einem Gedankenspiel, das eigentlich völlig abstrus wirken müsste, einen Roman, der den Leser nicht mehr loslässt. Der Konflikt zwischen Fumihiro und seinem Vater, die schwierige Beziehung zu Kaori, Fumihiros späteres Leben und die in all diesen Handlungspunkten aufgeworfenen moralischen Fragen machen aus der Geschichte ein absolutes Lesevergnügen.

4 von 5 Sternen.

Mehr zum Buch*:

  • Preis: 24 €
  • Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
  • Verlag / Leseprobe: Diogenes
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3257070217
  • ISBN-13: 978-3257070217
  • Originaltitel: Aku to Kamen no Ruru
  • Übersetzer: Thomas Eggenberg

 

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