Rezension: „Willkommen im Meer“ (Kai-Eric Fitzner)

Häufig bekomme ich Buchempfehlungen durch mir bekannte Büchermenschen. Karla Paul – deren Name vielen ein Begriff sein dürfte – ist so ein Büchermensch und viele ihrer Empfehlungen sind bei mir auf den Wunschzettel oder direkt ins Regal gewandert.

Selten jedoch, habe ich so spontan reagiert, wie bei „Willkommen im Meer“. Als Karla auf Facebook von Kai-Eric Fitzners Buch schrieb, war es eigentlich ein trauriger Grund auf den sie neben dem Buch aufmerksam machte: Kurz vor seinem 45. Geburtstag erlitt der Autor einen Schlaganfall und fiel ins Koma. Seine Frau rief auf Facebook dazu auf, sein Buch zu kaufen, denn der Familie ging es finanziell sehr schlecht.

Es entstand das Gegenteil eines Shitstorms unter dem Hashtag „#EinBuchfuerKai“ und Kai wurde im Koma liegend zum Bestsellerautor.

Mittlerweile gibt es hoffnungsvoll stimmende Nachrichten – Kai ist aus dem Koma erwacht – und der Familie wird dank vieler Spenden und Buchkäufe diese schwere Zeit vielleicht doch ein wenig erleichtert. Mehr hierzu findet Ihr hier.

Ich hatte mir spontan das e-Book gekauft (Print steht auf dem Wunschzettel) und nach wunderbaren Lesestunden ist es nun an der Zeit für eine Rezension.

Kai

(Foto: Privat)

Inhalt:

Tim ist Lehrer und fängt in Oldenburg an einer neuen Schule an – mit seiner Frau Antje und der gemeinsamen Tochter Lisa kennt er die Stadt noch nicht wirklich gut und auch die Seilschaften im Kollegium sind ihm unbekannt.

Seilschaften gibt es definitiv – auch außerhalb der Mauern der Schule und Tims Ziel, seinen Schülern die Fähigkeit des kritischen Denkens zu lehren wird schnell misstrauisch beäugt. Zumal er es schafft bei seinen Schülern wirkliches Interesse zu wecken und auch sonst schlechte Schüler plötzlich gute Noten schreiben.

Schnell legt Tim sich mit einem mächtigen Strippenzieher der Stadt an. Ebenso schnell freundet er sich aber mit einigen seiner Schüler an und so nimmt der Konflikt dann seinen Lauf.

Mein Eindruck:

Tim ist eigentlich der Protagonist in „Willkommen im Meer“ – und doch lebt dieses Buch durch die vielen anderen Charaktere die darin vorkommen und die ich mir, trotz meines schlechten Namensgedächtnisses, gut merken konnte. Kai hat es nämlich geschafft, jeder dieser vielen Figuren so viel Persönlichkeit und Hintergrund zu verleihen, dass man sie sehr gut auseinanderhalten kann.

Auf Kaufplattformen und in anderen Besprechungen wird häufig die Vielfalt an Themen hervorgehoben, die Kai in die Geschichte hineingewoben hat – darunter Humanismus, das Miteinander in einer Gemeinschaft, Familie, Machtmissbrauch, Globalisierung bzw. Wirtschaft.

Auch ich war davon beim Lesen sehr beeindruckt. Spielend leicht gelingt ihm der Wechsel zwischen humorvollen Situationen, in denen der verbale Schlagabtausch seiner Figuren mich immer wieder zum Lachen brachte – und Szenen, in denen ich nachdenklich vom Reader aufblickte und innehielt, weil die Wahrheit der Sätze so erstaunlich simpel und doch so beeindruckend war.

Meiner Ansicht nach gibt es verschiedene Arten von ‚lustig‘ . Einmal gibt es lustige Momente, die einen zum Lachen anstiften. Oder auch lustige Menschen, deren bloße Anwesenheit einem ein dauerhaftes Grinsen aufs Gesicht zaubert. Zur anderen Kategorie zählt die lustige Retrospektive, also Ereignisse, über die man erst lachen kann, wenn sie vorbei sind.

(Position 2093-2096, Kindle)

Immer präsent – wie ein zweiter roter Faden – ist in der Geschichte die Gesellschaftskritik. In jeder Situation, in jedem Dialog findet sich dieser Faden wieder –  eingewoben in eine Erzählung, die mal Elemente von Krimis aufnimmt, mal an einen Jugendroman erinnert und an anderer Stelle Zukunftsvisionen aufzeigt – ja, sogar eine konkrete Alternative für unsere Gesellschaft entwickelt.

Alles was du an der Gesellschaft beklagst, hat damit zu tun, dass wir nicht genügend aufeinander aufpassen.

(Position 1630-1632, Kindle)

Vor allem die Kritik daran, dass Schüler ähnlich wie Lebensmittel oder andere Waren an Schulen für die Wirtschaft „gefertigt“ werden, schwingt auf jeder Seite besonders laut mit. Kritisches Denken wird an der Schule, an der Tim arbeitet, nicht verlangt – die Schüler haben einfach nur zu funktionieren. Wer aufmuckt – also sein Gehirn zum Denken benutzt – wird schikaniert. Beim Lesen kam mir immer wieder „Another Brick in the Wall“ von Pink Floyd in den Sinn und ich musste besonders an die Umsetzung im dazugehörigen Film denken. Und auch an meine eigene Schulzeit.

An ein oder zwei Stellen könnte man nun kritisieren, dass die Geschichte etwas zu „gewollt“ wirkt – zum Schluss doch zu idealistisch? –  und vielleicht auch zu viele Themen aufgenommen worden sind. Zugegeben, an einer Stelle ging mir dieser Gedanke durchaus durch den Kopf. Aber ich finde das dann doch nicht weiter schlimm, denn es passt zur Gesamtstimmung des Buches, passt zum Tenor, dass man über alles reden kann, wenn man nur einander vernünftig zuhört und passt vor allem zum Protagonisten. Denn der hat einen Hang zum Idealismus und zu abschweifenden Gedanken und als Ich-Erzähler erfährt man als Leser von diesen dann so einiges.

Fazit:

Dies ist keine Mitleids-Bewertung, auch wenn mir Kai und seine Familie sehr leid tun und ich ihnen alles Gute und eine rasche Genesung wünsche. Hier geht es um das Buch und wie jeder andere Autor muss auch Kai sich an seinen Worten messen lassen.

Jedoch ist das einzige, wofür ich einen Stern abziehen könnte, die manchmal unglücklich gesetzten Wort- und Silbentrennungen im eBook, die allerdings in der Print-Version (die ich mir bei Jules Leseecke angesehen habe) nicht vorhanden sind.

Deshalb kann ich meine absolute Begeisterung über diesen literarischen Schatz nur in folgender Bewertung zusammenfassen:

5 von 5 Sternen.

Weiteres zum Buch:

  • Preis: 12,99 € (Print, eBook: 5,99 €)
  • Taschenbuch: 332 Seiten
  • Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform; Auflage: 2 (3. Februar 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 1505428777
  • ISBN-13: 978-1505428773
  • Größe und/oder Gewicht: 13,3 x 2,1 x 20,3 cm

4 Gedanken zu “Rezension: „Willkommen im Meer“ (Kai-Eric Fitzner)

  1. Pingback: Kai-Eric Fitzner – Willkommen im Meer | Jules Leseecke

  2. Huhu 😀
    Ich mag deine Rezension richtig sehr. *_* Und ich finde es immer toll, dass du in wenigen Sätzen die Handlung zusammenfassen kannst. Ich stütze mich da ja immer auf die Klappentexte. 😀
    Und was mir auch sehr gefällt, ist, dass du die ganzen Buchinfos (Preis, Seitenzahl, Verlag, etc.) am Ende erst schreibst. Ich glaube, ich sollte das auch machen. Da kann man mehr Infos unterbringen und man muss nicht ewig scrollen, um zur Rezensino zu kommen. Mich stört das bei mir immer etwas. XD
    Liebe Grüße
    ich <3

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