Leserunden sind immer irgendwie besonders.
Es gibt die, bei denen man sich fragt, weshalb es überhaupt eine Leserunde braucht — denn diskutiert wird gar nicht. Dann gibt es die, bei denen zumindest ich mich fürchterlich fehl am Platz fühle, da alle Beteiligten irgendwie viel klüger bzw. mit mehr Hintergrundwissen diskutieren als ich es habe und ich das Gefühl habe, selbst nichts zur Diskussion beitragen zu können. Im besten Fall bleibe ich dann einfach nur still, im schlimmsten Fall wirkt es, als wollen andere mir vorschreiben, wie ich über Literatur zu denken habe.
Und dann gibt es Leserunden, die auf Augenhöhe und voller Empathie zwischen den Teilnehmenden stattfinden. Leserunden, in denen die abweichende Meinung anderer nicht nur akzeptiert, sondern als Bereicherung für das eigene Lesen gesehen wird. In denen anderes Verständnis vom Text nicht „falsch“ ist, sondern die eigene Perspektive erweitert, ohne sie als banal abzustempeln.
Solche Leserunden liebe ich. Und solche Leserunden gibt es bei Maria-Christina Piwowarskis „Mariaslesekreis“ auf Instagram.
Über viele Wochen, von Februar bist in den April hinein, haben wir gemeinsam die Trilogie von Julia Schoch gelesen.

Das Vorkommnis — Einstieg in die Trilogie
Ich habe aus zwei Gründen diese Leserunde mitgemacht.
Zum einen: Es ist eine von Marias Leserunden. Das ist für mich oft Grund genug.
Zum anderen: In „Das Vorkommnis“ beschreibt Julia Schoch, wie nach einer Lesung eine fremde Frau vor ihr steht und ihr sagt, dass sie ihre Halbschwester sei. Eine Halbschwester vom gemeinsamen Vater. Es ist eine Geschichte über die Wellen, die einzelne Ereignisse auslösen können und gleichzeitig auch eine Geschichte, die viele Fragen stellt. Unter anderem Fragen zu Adoption — ein Thema, das auch in meiner Familie eine gewisse Rolle spielt.
Dementsprechend las ich Teil eins quasi mit der Brille derjenigen, deren Leben ebenfalls mit Adoption verwoben ist. Und die sich ebenfalls die Frage stellt, wie sehr sie selbst als nicht direkt Betroffene doch betroffen ist.
Das klingt vermutlich alles reichlich komplex und verwirrend, aber Julia Schoch beschreibt es viel einfacher. In klaren präzisen Sätzen, die lange nachhallen und die mir immer wieder neue Denkanstöße gaben. Bei Adoption, Familienbanden abseits der Klischeefamilie und Geheimnissen ist ohnehin jede Perspektive nur EINE Perspektive. Und abseits jeden Versuchs Allgemeingültigkeit für Gefühle oder Gedanken herzustellen zu schreiben — genau das gelingt Julia Schoch in diesem Buch.

Das Liebespaar des Jahrhunderts — Teil zwei ohne persönlichen Bezug
Ich bin bislang nie verheiratet gewesen. Schon gar nicht über viele Jahre bis Jahrzehnte. Und ich habe mich deshalb logischerweise auch nicht nach so langer Ehe entschieden, meinen Mann zu verlassen.
Die Protagonistin tut das im zweiten Teil der Trilogie — und warum habe ich dieses Buch gelesen, wenn es, im Vergleich zum ersten, so fernab meiner eigenen Realität ist?
Grund eins ist wieder die Leserunde. Grund zwei ist, dass Julia Schoch mich mit ihrer Sprache gepackt hat. Sie findet wunderschöne Worte, setzt sie aber ohne Schnörkel zusammen, sondern bleibt fast kühl in der Beobachtung der Innenwelt, die sie beschreibt.
Das muss man vielleicht mögen — in der Leserunde gingen die Meinungen definitiv auseinander — aber mir gefällt es sehr gut. Ich bin ohnehin jemand, die alles zigfach durchdenkt und genau hier war — bei allen sonstigen Unterschieden — die Parallele zur Autorin.

Wild nach einem wilden Traum — Teil drei und Abschluss der Reihe
(Rezensionsexemplar)
Braucht es Parallelen zwischen Autor*innen und Lesenden? Das ist vermutlich eine Grundsatzfrage und führt hier zu weit. Klar ist nur: Auch Teil drei ist fernab meiner eigenen Realität.
Julia Schoch beschreibt im Abschluss der Trilogie, wie sie — die verheiratete Frau — bei einer Art Schreib-Retreat einen fremden Mann kennenlernt. „Der Katalane“, wie er die ganze Zeit genannt wird, ist ebenfalls Schriftsteller und sie beginnt eine Affäre mit ihm.
Ich bin nach wie vor unschlüssig, wie ich das dritte Buch finden soll. Nach wie vor mag ich die Sprache, nach wie vor begeistert mich die Art und Weise, wie Julia Schoch auf Erlebnisse blickt und ihre Verwobenheit aufzulösen versucht.
Und nach wie vor weiß ich nicht, ob ich herausfinden will, wer „der Katalane“ denn nun ist. Genügend Anhaltspunkte dürfte es im Buch geben, denke ich. Aber will man das wirklich wissen? Was würde es verändern, außer, dass eine rein von Neugier geprägte Frage beantwortet wäre.
Ich weiß es nicht.
Fazit zu Trilogie und Leserunde
Ich mag die Bücher von Julia Schoch. Sie sind eigen, sie sind voller kluger und schöner Sätze und sie sind vor allem ganz anders, als ich es wohl erwartet hatte.
Genau das ist es, was für mich wohl den Reiz dieser Bücher ausmacht und was es vielleicht auch schwer macht, sie zu empfehlen.
In der Leserunde gehen die Meinungen ebenfalls auseinander. Was mich daran aber begeistert ist, wie gleichberechtigt unterschiedliche Leseweisen im Gruppenchat bestehen konnten und wie bereichernd dieser Austausch von allen Seiten beschrieben wurde.
Also: Danke Maria für diese Leserunde!
Danke auch an den dtv Verlag für Band drei als Rezensionsexemplar.