Ich lese gerade ein Buch über Leuchttürme, über das ich Euch allerdings ein andermal mehr erzählen werde. Es brachte mich jedoch auf die Idee zu diesem Blogpost. Denn es gibt Bücher, die bringen mich so umfassend auf andere Gedanken, dass ich alles andere um mich herum auszublenden vermag. Bücher, die sich in mein Herz geschlichen haben und mir auch an kalten Tagen ein warmes Gefühl geben. Die wie ein literarischer Leuchtturm strahlen und einem in der rauen See des ungewissen Alltags in Richtung Hafen lenken. Die es schaffen, mich aus viel zu vielen Grübeleien herauszukennen und mir Zuversicht geben.
Das mag etwas pathetisch klingen, aber ich glaube, Büchermenschen wissen vermutlich, was ich meine. Und ich denke, wir alle benötigen diese Geschichten in den kommenden Wochen und Monaten noch mehr als ohnehin schon.
Seht diesen Blogpost auch gerne schon als Ideenliste für Weihnachtsgeschenke und tut mir einen Gefallen: Kauft rechtzeitig und lokal ein. Gerne auch online über Seiten wie – unbezahlte Werbung – Genialokal.de, denn dort könnt Ihr die Buchhandlung Eures Vertrauens unterstützen, ohne Euch aus dem Haus begeben zu müssen.
Aber zurück zu den literarischen Leuchttürmen. Eines noch vorab: Diese Auswahl fiel mir nicht leicht, gibt es doch so viele wunderbare Bücher in meinem Regal. Am Ende entschied das Bauchgefühl.
„Baba Dunjas letzte Liebe“ von Alina Bronsky
Dieses Buch habe ich gelesen, als ich krank war. Von diesem Buch behaupte ich bis heute, dass es mich gesund gemacht hat. Alina Bronsky hat auf 154 Seiten (gebundene Ausgabe) so viel Wärme und Poesie in Worte gefasst, dass ich das Buch seit der ersten Lektüre wieder und wieder zur Hand genommen habe. Meist wenn ich krank war und sehr oft hat es geholfen.
Es geht in der Geschichte um Baba Dunja, eine ältere Dame und Tschernobyl-Heimkehrerin. Es geht um die Gemeinschaft des Dorfes, in das sie zurückkehrt und um die leicht verschrobenen Menschen, die dort ebenfalls wohnen. Aber es geht auch um die Weisheit und die Milde des Alters, um eigenständige Entscheidungen und Zusammenhalt.
Ich habe mir viele der wunderbar klugen Sätze markiert und eines beim (erneuten) Lesen an mir beobachtet: Man geht nach diesem Buch auch ein klein wenig milder mit sich selbst um.
„84, Charing Cross Road“ von Helene Hanff (Übersetzung: Rainer Moritz)
Immer, wenn ich mit meiner Lieblingsbuchhändlerin im ocelot über Instagram schreibe, muss ich an dieses Buch denken. Denn unsere Nachrichten sind wohl das moderne Äquivalent zu den im Buch abgedruckten Briefen. Helene Hanff schrieb – aus den USA – über viele Jahre mit dem Londoner Antiquariatsbuchhändler Frank Doel, der ihre literarischen Wünsche erfüllte und so manches Buch ausfindig machte, das Helene Hanff gerne lesen wollte.
Manchmal – gerade jetzt – erscheinen mir die 200 km zu meinem geliebten ocelot ähnlich unüberwindbar wie die Entfernung von Helene Hanff und Frank Doel. Zum Glück gibt es Instagram.
Das Buch ist übrigens nicht nur perfekt für einen Schmökernachmittag bei Regenwetter und einer heissen Tasse Tee, sondern auch gefährlich. Man entdeckt auf nahezu jeder Seite ein Buch, das man gerne auch lesen würde. Ich habe Euch gewarnt.
„Vom Ende der Einsamkeit“ von Benedict Wells
„Ich hab eigentlich immer nur gelesen, um zu fliehen, um mich von ein paar Sätzen oder einer Geschichte trösten zu lassen.“
(S. 204)
Diese Geschichte ist so eine. „Vom Ende der Einsamkeit“ ist für mich das Buch, das ich als einziges auf eine einsame Insel mit nehmen würde – und mal ehrlich, bis auf den fehlenden Strand und ein paar andere Kleinigkeiten ähnelt das Leben in der Risikogruppe seit März genau diesem Inselleben. Und wenn mir die Decke auf den Kopf fällt und alles sehr düster wirkt, dann nehme ich dieses Buch zur Hand.
Die Geschichte, die Benedict Wells erzählt, lässt sich auf folgende Frage herunter brechen: Was bleibt von uns gleich, wenn sich alles andere verändert? Ich glaube, aktuell finden wir das heraus.
„Das Gegengift zu Einsamkeit ist nicht das wahllose Zusammensein mit irgendwelchen Leuten. Das Gegengift zu Einsamkeit ist Geborgenheit.“
(S. 171)
Dieses Zitat hängt bei mir seit mehreren Jahren als Postkarte an der Wand und auch wenn ich es immer schon als wahr empfunden habe, hat mir das vergangene Jahr doch einmal mehr gezeigt, wie wahr sie tatsächlich sind. Und dass auch virtuelles Beisammensein Geborgenheit zu schaffen vermag.
„König Ödipus“ von Bodo Wartke, Sven Schütze und Carmen Kalisch
Bevor Ihr verschreckt aufhört zu lesen: Ja, es geht um König Ödipus, aber ich mute Euch mit diesem Buchtipps keinesfalls einen 2000 Jahre alten und in Teilen unverständlichen (aber zugegebenermaßen sehr spannenden) Text zu. Im Gegenteil. Dass Sophokles‘ „König Ödipus“ so seine Längen hat, ist der Grund, weshalb Bodo Wartke sich den Stoff vorgenommen hat. Über viele Jahre hinweg hat er daraus ein sich durchweg* reimendes Meisterwerk geschaffen, das die Geschichte des Ödipus nicht nur verständlich, in großen Teilen höchst amüsant und vor alle, sehr spannend erzählt.
Ja, das Theaterstück gibt es auch als Video (on demand, als DVD bzw. Blu-ray) – aber eben auch als Buch. Da mich das Stück durch eine sehr schwierige Zeit getragen hat und immer noch trägt, möchte ich es Euch ans Herz legen. In jeder Form. Ihr werdet lachen und weinen und das Stück immer wieder lesen und sehen wollen. Und nebenbei könnt Ihr einen wunderbaren Künstler unterstützen, der sich für wichtige Dinge wie den Hambacher Forst und Demokratie einsetzt.
Unbezahlte Werbung:
Hier erfahrt Ihr mehr über „König Ödipus“ und hier mehr über das zweite Stück, „Antigone“. Hier erfahrt Ihr zudem etwas über die prekäre Situation, in der Bodo sich – wie so viele Künstler:innen und ihre gesamte Branche – befindet.
*Nerd-Anmerkung: Fast durchweg. Eine Zeile reimt sich bewusst nicht.
„Verzeichnis einiger Verluste“ von Judith Schalansky
Wenn man sich dieses Buch ansieht und den Titel so liest, könnte man sich fragen, weshalb ich es zu „hellen Büchern für dunkle Zeiten“ zähle: Es handelt von Verlusten und das Cover ist eine Mischung von Grautönen.
Ich las es im März 2020, also recht weit zu Beginn dieses sehr merkwürdigen Jahres – genauer gesagt während der ersten Welle als die Ausgangsbeschränkungen bereits galten. Ich saß dabei auf dem Balkon in der Sonne und ließ mich nicht nur von deren ersten warmen Strahlen streicheln. Sondern auch von Schalanskys Sprachkunst.
Judith Schalansky erzählt zwar von Dingen, die der Menschheit verloren gingen, aber eben auch von dem, was in diesen Leerstellen bzw. durch sie entsteht. Beim Lesen stellt sich keine Traurigkeit ein, weil etwas verloren ging, sondern Dankbarkeit, weil etwas vorhanden war und wir durch dieses Buch – wie auch durch andere Bücher – davon erfahren können. Ich glaube, in dunklen Zeiten, in denen uns viel fehlt, ist Dankbarkeit ein guter Weg, damit umzugehen. Denn nicht alles fehlt und vor allem kann das, was wir vermissen, als Ansporn dienen. Denn eines ist gewiss: Es kommen auch wieder bessere Zeiten.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Ihr Eure literarischen Leuchttürme vorstellt. Gerne hier in den Kommentaren und/oder unter dem Hashtag #LiterarischeLeuchttürme quer durch die sozialen Netzwerke hinweg. Ihr müsst auch keine Leuchttürme in Lampen- oder Lesezeichenform haben um mitzumachen 😉
P.S.: Während dieser Text entstand, habe ich beim Nordverlag den Hashtag #LiterarischeUmarmung gelesen, der thematisch recht ähnlich gelagert ist. Ich möchte keineswegs den fremden – wunderbar passenden – Hashtag mit meinem kapern. Ich denke, je mehr warme Hashtags im manchmal doch etwas eisigen Web, desto besser. Also teile ich diesen Beitrag (und alle eventuell folgenden) auch unter #LiterarischeUmarmung.