Es gibt Themen, denen ich mich zum ersten Mal durch Bücher annähere, weil diese Themen bei uns in der Schule komplett ausgeblendet wurden. Das Thema Sklaverei – das nur ganz kurz und grob angeschnitten wurde – gehört dazu. Ich glaube, ich bin über Karla von Buchkolumne auf das Buch aufmerksam geworden, da sie es bei einer ihrer Auspackaktionen auf Instagram gezeigt hat. Danach ging es mir nicht mehr aus dem Kopf und ich war sehr glücklich, es bei Vorablesen gewonnen zu haben.
Inhalt:
Cora ist Sklavin auf einer Baumwollplantage in Georgia, der Sklavenhölle. Ihre Mutter entkam als einzige, jeder andere bisherige Fluchtversuch ist gescheitert und die Strafen für die Flucht sind so schlimm, dass es kaum jemand wagt. Doch Cora erfährt von der Underground Railroad, einem geheimen System, das Sklaven die Flucht ermöglichen soll und will den gefährlichen Schritt wagen. Was folgt, ist eine lange Flucht durch viele Staaten, die alle ihren eigenen Gesetzen folgen und in denen die schwarze Bevölkerung immer das schwächste Glied ist.
Mein Eindruck:
Über Sklaverei zu lesen, muss dem Leser einiges abverlangen – mit diesem Gedanken habe ich mich dementsprechend für die Lektüre von „Underground Railroad“ gewappnet. Colson Whiteheads Schreibweise ist durchaus stellenweise drastisch, er bleibt aber dennoch distanziert in seinen Beschreibungen – so, als würde das Geschehen den Leser nichts angehen. Da man alles aus Coras Sicht erfährt, kann es zwar durchaus sein, dass die traumatischen Erlebnisse dazu führen, dass sie alles wie durch Watte erlebt. Leider liest sich das gesamte Buch mit diesem „Watte-Effekt“, was den Abscheulichkeiten der damaligen Zeit nicht gerecht wird.
Whitehead schreibt dabei keineswegs langweilig: Cora flieht von Station zu Station der Underground Railway, die in Wahrheit übrigens nicht unter der Erde verlief, und muss stets wachsam bleiben, wer Freund und wer Feind ist. Zwischenblenden zu anderen Figuren – auch solchen, die in der eigentlichen Haupthandlung nur am Rande vorkommen – geben Einblicke in andere Sichtweisen oder Lebensläufe, sind aber auch immer ein Bruch in der eigentlichen Geschichte. Schwierig ist auch die Fülle an Namen, die man kaum auseinanderhalten kann und die – insbesondere am Anfang – aber auch die Austauschbarkeit der Sklaven im Weltbild der Weißen verdeutlichen.
„Underground Railroad“ beschreibt ein System, aus dem es kein Entkommen zu geben scheint, und in dem es doch – in den absurdesten Momenten – ein Aufflackern an Hoffnung gibt. Colson Whitehead hat einen Roman geschrieben, der manchmal wie eine Young Adult Dystopie wirkt, bis man sich wieder bewusst macht, dass dieser Roman in unser aller Vergangenheit spielt und diese gar nicht so weit zurückliegt. Man muss nur einen Blick auf Übergriffe gegen Menschen ohne helle Hautfarbe werfen, um zu wissen, dass die Welt in Whiteheads Buch und unsere sich näher sind, als es uns recht sein sollte.
Fazit:
Dem Leseexemplar, das ich erhalten habe, sind Informationen zur echten Underground Railway vorangestellt, die bei der Lektüre des Buches sehr hilfreich waren. Ohne diese zusätzlichen Fakten hätte das Buch leider noch stärker wie eine Dystopie gewirkt. Whitehead schreibt fesselnd und das Thema des Buches ist zu wichtig, als das man es ignorieren sollte. Und doch fehlt dem Buch der entscheidende Biss, der seine Leser aufrüttelt.
3 von 5 Sternen.
Mehr zum Buch:*
Colson Whitehead hat für „Underground Railroad“ den Pulitzer Preis 2017 erhalten und ist auf der Longlist des Man Booker Prize.
Rezensionen anderer Blogger findet Ihr hier:
Gastbeitrag von Buchperlenblog bei Southboundhiker || Buchsichten || Allstorysaretrue || Sarah’s Book Blog xo
- Preis: 24 €
- Gebundene Ausgabe: 352 Seiten
- Verlag: Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3446256555
- ISBN-13: 978-3446256552
- Originaltitel: The Underground Railroad
- Übersetzer:
Liebe Sarah,
ich hab lange überlegt, ob ich deine Rezension überhaupt lesen soll (va.nachdem du ja schon auf Twitter geschrieben hattest, dass dich das Buch nicht so ganz begeistert hat). Bei mir liegt seit einigen Monaten die englischsprachige Ausgabe und bei dem roten Cover werde ich immer von Vorfreude gepackt, weil ich aus den USA seit Erscheinen nur Positives gehört hatte. Und jetzt – hat meine überschwängliche Vorfreude dank dir einen kleinen Dämpfer erhalten. Aber vielleicht ist das auch gut so, um nicht mit zu hohen Erwartungen an das Buch heranzugehen. So oder so werde ich die Lektüre wegen der momentanen Omnipräsenz erst einmal für ein paar Monate vor mir herschieben. Und mit genügend Abstand hoffe ich, nicht enttäuscht zu werden. 😉
Liebe Kathrin,
Oweh, das hatte ich beim Schreiben der Rezension fast befürchtet – dass ich anderen, die das Buch schon haben, eventuell den Spaß verderbe. Das wollte ich nicht! Aber vielleicht ist es ja auch genau richtig für Dich, es gibt ja auch viele positive Stimmen 🙂 Ich drücke die Daumen, dass es Deinen Vorstellungen entspricht!
Trotzdem vielen lieben Dank für den Kommentar 🙂
Liebe Grüße
Sarah
Ach, verdorben hast du es nicht. 😉 Und wie gesagt: Eigentlich finde ich es auch immer gut, wenn zu derart gelobten Büchern dann auch endlich einmal weniger euphorische Meinungen zu finden sind. Aber gerade von diesem Buch verspreche ich mir wegen des Themas doch recht viel und hatte auch gehofft, dass es dich so richtig mitreißen würde.
Und wer weiß – vielleicht werde ich die Geschichte ganz anders wahrnehmen. (Wenn nicht, ist das auch nicht so wild – es gibt schließlich immer noch genug andere atemberaubende Bücher im Regal und auf dem Markt. 🙂 )
Da bin ich beruhigt 🙂
Ich glaube, mein Problem liegt darin, dass ich „12 years a slave“ gesehen habe und diese Film auch nach Jahren noch nachwirkt. Ich hatte mir deshalb ein ähnlich intensives Leseerlebnis erhofft (bzw. es befürchtet). Ohne diesen Film empfindet man es vielleicht anders. Ich bin auf jeden Fall dann auf Deinen Eindruck gespannt, sobald Du es liest 🙂
„12 Years a Slave“ ist auch großartig! Wenn du den Film so mochtest, lies unbedingt auch das Buch! Es hat zwar die ein oder andere Länge, aber ist noch viel heftiger und schonungsloser als die Verfilmung.