Rezension: „Die Leiden des jungen Werthers“ (Johann Wolfgang von Goethe)

Kann man einen Klassiker rezensieren? Darf man das überhaupt?

Ich finde, dass das durchaus möglich ist. Klassiker sind in meinen Augen Bücher, die einen außergewöhnlichen Einfluss auf ihr Genre oder die Gesellschaft hatten und deshalb als besondere Meilensteine der Literatur gelten. Dabei muss ein Buch aus heutiger Sicht nicht unbedingt gut geschrieben sein. Auch sind Lücken in der Erzählweise zeitlos.

Im vergangenen Jahr hatte ich mal wieder das Bedürfnis, einen Goethe zu lesen. Diejenigen von Euch, die mich ein wenig besser kennen, wissen, dass ich Goethe und Schiller besonders mag. Denjenigen von Euch, die mich weniger gut kennen, sei gesagt, dass ich die Werke lese, weil sie mir gefallen – nicht, weil ich damit irgendwie besonders gebildet wirken will.

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(Foto: Privat)

Inhalt:

Die Geschichte ist allseits gut bekannt und schnell erzählt: Werther, ein junger Rechtspraktikant, erzählt in Briefen, wie er die Tochter des Amtmanns, Lotte, kennenlernt und sich in sie verliebt. Diese ist jedoch mit Albert verlobt, die Heirat mit ihm versprachen sie Lottes Mutter am Sterbebett.

Eigentlich beschreibt Werther in seinen Briefen hauptsächlich von Ausflügen mit Lotte, Besuchen bei ihr und ihren Geschwistern. Er erzählt aber auch davon, dass er gemeinsam mit Lotte und Albert Zeit verbringt, sich sogar mit Albert anfreundet. Doch aus seinen anfänglich platonischen Gefühlen für Lotte wird mehr und Werther hält die Situation nicht länger aus. Um Alberts und Lottes Beziehung nicht zu gefährden – er weiß nun um das Versprechen am Sterbebett von Lottes Mutter – verlässt er den Ort und arbeitet eine Zeitlang am Hofe.

Dort fühlt er sich jedoch zunehmend fehl am Platze und stark durch die dortige Etikette eingeschränkt und nimmt die Freundschaft mit Lotte wieder auf. Seine Gefühle haben sich jedoch nicht geändert. Das Unheil nimmt seinen Lauf.

Mein Eindruck:

Es ist kein Geheimnis, dass Werther aus Liebeskummer am Ende den Freitod wählt. (Wer hier „Spoiler“ rufen möchte: Das Buch ist seit 241 Jahre auf dem Markt.) Trotz dieses allseits bekannten Endes hat mich das Buch von Anfang bis Ende gefesselt.

Ob das an den wunderbaren Beschreibungen lag, die Goethe seinem Werther in die Feder diktierte? Ob es am allgemeinen Reiz lag, den Briefromane auf mich ausüben? Oder an meinen Überlegungen zwischen den Seiten, nämlich darüber, wie die Menschen damals dieses Büchlein verschlungen haben und so bewegt waren, dass man noch heute vom Werther-Effekt spricht.

Ich weiß es, um ehrlich zu sein, nicht. Goethe hat mit seinen Worten schon immer eine ungemeine Anziehungskraft auf mich ausgeübt und ich habe so manch einen Satz mehrfach gelesen, weil die Formulierung so schön oder so treffend ist.

Manchmal sag‘ ich mir: Dein Schicksal ist einzig; preise die übrigen glücklich – so ist noch keiner gequält worden; dann lese ich einen Dichter der Vorzeit, und es ist mir, als säh‘ ich in mein eigenes Herz. Ich habe so viel auszustehen! Ach sind denn Menschen vor mir schon so elend gewesen?

(S. 189, Reclamausgabe von 1999, Paralleldruck der Fassungen von 1774 u. 1787, hier Zitat von 1787.)

Fazit:

Man kann Klassiker mögen, man muss es nicht. Man muss auch nicht ein Faible für jeden Klassiker und jeden berühmten Autor oder Dichter entwickeln. Ich persönlich mag Goethes Werke – zumindest die, die ich bisher kenne – sehr und bin auch von „Die Leiden des jungen Werthers“ fasziniert. Werthers Briefe haben mich sehr berührt und ich kann irgendwie nachvollziehen, dass seine eindringlichen Worte vor 241 Jahren diese Wirkung entfaltet haben.

Einfach nur eine wunderbare Geschichte – Klassiker hin oder her.

5 von 5 Sternen

Weiteres zum Buch:

  • Preis: 8,00 €
  • Broschiert: 311 Seiten
  • Verlag: Reclam, Philipp, jun. GmbH, Verlag; Auflage: Studienausgabe. (1999)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3150097622
  • ISBN-13: 978-3150097625

7 Gedanken zu “Rezension: „Die Leiden des jungen Werthers“ (Johann Wolfgang von Goethe)

  1. Huhu 🙂
    das meintest du also vor ein paar Tagen, als du meintest ein weiterer Goethe würde folgen. 😉
    Ich habe dieses Buch in der Schule geliebt und gehörte wohl zu den wenigen, die es damals schon verschlungen haben und freiwillig 2mal gelesen hatten.
    Und auch Klassiker kann man rezensieren. Warum auch nicht? Ein Klassiker zeichnet doch auch, dass man in jeder Epoche etwas darin finden kann und gerade der Freitod auf Grund von Liebeskummer ist doch auch heute immer noch aktuell.

    • G’naaaaaabend 😉

      Genau diesen Blogpost meinte ich 😉 Schön, dass Du mir zustimmst. Ich hatte so eine ähnliche Diskussion mal mit einer Mitschülerin, die leider die Meinung vertrat, dass man den Klassikern ehrfürchtig entgegentreten müsste. Fand ich schade irgendwie. Und als ich das Buch dann gelesen habe, kam mir diese Frage halt wieder in den Sinn.

      Ich find es nur schade, dass ich das nicht mit meiner Deutschlehrerin aus der Oberstufe gelesen habe – mit der konnte ich so herrlich diskutieren… Ach ja 🙂

      Einen schönen Leseabend noch!
      LG
      Sarah

      • Wir haben den, glaube ich, in der 10. Klasse gelesen und in der 11. dann Faust, Teil 1 und da habe ich mich mit meiner Deutschlehrerin in die Haare bekommen. Ich vertrat als einzige die Meinung, dass Gretchen ein kleines Flittchen ist. XD Weil nirgendwo stand, dass sie vergewaltigt wurde, sondern sie hat freiwillig mit Faust geschlafen und heult dann rum, dass sie schwanger ist. Danach erhielt eine Sonderaufgabe nach der nächsten und damit auch eine gute Note nach der anderen … XDDDD

        • Hach, so viel Goethe in der Schule, das ist beneidenswert! Wir haben in der 11. erst ein paar Gedichte und dann halt Faust durchgenommen und dann wars das auch schon wieder. Ich finde die Interpretation Deinerseits übrigens interessant! Hätte ich das meiner Deutschlehrerin gesagt, wären die 90 Minuten Unterricht fix um gewesen – aber gut, ich hab eh oft eine Frage gestellt und dann haben wir den Rest der Zeit philosophiert ^^

          Aber gut zu wissen, dass ich nicht die einzige bin, die eine Deutsch-Sonderaufgabe bekam 😉 Weißt ja – das Schiller-Debakel meiner anderen Deutschlehrerin ^^

  2. Also, ich kann so gut wie jeden Goethe lesen – aber nicht den Werther. Ich fand dieses Gejammer so anstrengend, da sträubt sich mir alles. Dazu noch die Nachstellungen und Anhimmelung der Lotte…
    Furchtbar. Den Faust (Teil 1) habe ich dagegen schon mindestens 5mal gelesen, den kann ich immer wieder verschlingen.
    Was würdest du denn von Goethe noch empfehlen? Ich müsste meine Schulkenntnisse da eigentlich mal wieder auffrischen 🙂
    VG Jennifer

    • Liebe Jennifer,

      ich fand überhaupt nicht, dass Werther jammert, aber da gehen die Meinungen halt auseinander 😉

      Empfehlenswert ist definitiv „Iphigenie auf Tauris“ und ich möchte demnächst die berühmten „Wahlverwandschaften“ lesen und bin sehr gespannt 🙂
      Ich hoffe, die Tipps sind gut 😉

      Liebe Grüße
      Sarah

      • Danke dir auf jeden Fall 🙂
        Ich glaub die Iphigenie hatte ich schon mal, jedenfalls kommt mir das vage bekannt vor. Aber mit den Wahlverwandschaften bin ich auch noch nie zusammengestoßen… Sollte ich mal nachholen 😀

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