Sag das Zauberwort… – Rezension: „Nerd Girl Magic“ (Simone Goldschmidt-Lechner)

[Rezensionsexemplar]


“Ich weiß nicht, ob ich Zeit für das Buch habe.” – Diese Nachricht schrieb ich und keine fünf Minuten später klingelte es an der Tür und ich nahm die Buchsendung von “Nerd Girl Magic” entgegen.

Oder anders formuliert: Manchmal kommen die besten Bücher genau zur richtigen Zeit – egal, wie ungeplant das ist. Denn wenn beim Verbrecher Verlag mit den Rezensionsexemplaren nicht etwas überkreuz gelaufen wäre, hätte ich nicht “nur mal eben” in das Buch von Simoné Goldschmidt-Lechner hineingelesen. Und dann hätte ich mir nicht nach Feierabend Seite um Seite reingezogen. Hätte mich als Nerd Girl nicht so unfassbar verstanden gefühlt. Und ich würde diese Zeilen nicht schreiben.

Foto vom Buch auf weißem Hintergrund. Blaues Cover, pinke Schrift, über dem Titel sitzt eine Frau in einer Mondsichel, sie trägt Sailor Moon Kleidung

Sowas kommt also von sowas.

Aber beim Buch muss ich woanders anfangen:

Ich bin mit Sailor Moon aufgewachsen. Noch weit davor habe ich Popoulos auf meinem Amiga gezockt, statt im Kindergarten zu sein. Meine Uroma hat mir meinen – noch immer funktionierenden – Gameboy geschenkt. Wenn ich die erste Generation an Pokémon aufzähle, bin ich die Heldin meiner Nichte. Ich streife des Öfteren mit Link durch Hyrule, mein Instagram-Name leitet sich vom elbischen Namen Aragorns aus “Der Herr der Ringe” ab und ab der zehnten Klasse hatte ich dank unzähliger Fanfictions zu unfassbar vielen Fandoms einen größeren Wortschatz im Englischen als meine Lehrerinnen.

Kurzum: Ich bin ein Nerd Girl.

Und obwohl ich viel zu viele Stunden auf Tumblr verbracht habe, als SuperWhoLock die Krone aller Fandoms trug, obwohl ich meinen Masterabschluss auch all den Seminaren mit Bezug zu Serien, Filmen und “generellem Nerdkram” verdanke (und dem Soundtrack zu Doctor Who), habe ich mich selten selbst als Nerd Girl bezeichnet.

Vermutlich, weil sofort die Expertise, auf der meine Nerd Existenz beruht, hinterfragt würde. Kennt sie wirklich alle Charaktere aus dem Universum, über das sie da spricht? Kann sie alle Funfacts aus allen Behind-the-Scenes Videos aufzählen? Weiß sie, welche Autor*innen (wobei … meistens sind es Autoren) an Handlungsstrang xyz beteiligt waren und welche Referenzen aus welchen ihrer früheren Arbeiten dort Einfluss hatten?

Ist sie wirklich ein Nerd Girl?

Nachdem ich jetzt “Nerd Girl Magic” von Simoné Goldschmidt-Lechner gelesen habe, möchte ich meinem früheren Ich zurufen: Ja, bist du!

Im Buch führt die Autorin nämlich nicht nur eine Vielzahl an Fandoms auf und gibt einen umfassenden Einblick in die Vielfalt der Nerd- und Geek-Culture, sie zeigt auch, wie systematisch Menschen ausgeschlossen werden, die eben keine weißen cis Männer sind.

Immer wieder habe ich mich beim Lesen dabei ertappt gefühlt, dass ich selbst in diesen Schablonen von “Nerd” und “Nicht-Nerd” gedacht und mich dabei selbst aus der Kategorie “Nerd” ausgeschlossen habe. Weil mein Wissen nicht umfangreich genug oder das Fandom nicht “wichtig” also bekannt genug war.

Beispiel: Ich habe in meinem Leben noch keinen Star Wars Film gesehen. In meiner Wunschvorstellung sehe ich mir die Filme irgendwann nochmal an, vorzugsweise mit einem Fan, der mich durch seine Begeisterung anzustecken weiß. Aber das Nicht-Kennen dieser unfassbar bekannten Filmreihe hat bei mir dazu geführt, dass ich mich “nicht wirklich” als Sci-Fi-Nerd-Girl bezeichne. Dabei habe ich schon als Kind Star Trek geguckt (Danke, Mama) und habe im Studium unfassbar viel Perry Rhodan gelesen. Bin ich da ein hardcore Nerd? Nein. Bin ich ein Nerd? Ja.

Und: Wie klug und fesselnd kann man über Nerds schreiben? Ja.

Ich habe übrigens lange keinen Text mehr gelesen, der so unfassbar klug und gleichzeitig so zugänglich geschrieben ist. Ja, Simoné Goldschmidt-Lechner schreibt akademisch – aber eben genau so, wie akademische Texte eigentlich sein sollten: Spannend und verständlich und mit einem Sog, der einen nicht mehr loslässt. Mich zumindest nicht.

Am liebsten möchte ich dieses Buch allen meinen Nerd Girls im Umfeld in die Hand drücken und sagen: Guck mal, Du bist genau richtig so, wie Du abnerdest. Und ich möchte es auch den männlichen Nerds im Umfeld geben und sagen: Hier, lies mal, und mach die Welt für uns alle ein bisschen besser, indem Du Dich aktiv für Diversität in Fandoms einsetzt.

Ich weiß jetzt schon, dass ich es mal meiner Nichte in die Hand drücken werde, wenn sie an ihrem Nerdsein zweifelt. Auf dass es die gleiche Wirkung auf sie hat wie auf mich: Ich fühle mich endlich angekommen.

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