Rezension: „made in china“ (Lea Schneider, Illustrationen Yimeng Wu)

Rezensionsexemplar

„ich habe das nicht gewusst.“

made in china, Lea Schneider, u.a. S. 13

Im früheren Job habe ich internationale Gastwissenschaftler*innen betreut und darunter waren auch viele, die aus China kamen. Ich gab mir die größte Mühe, stieß doch immer wieder an Grenzen beim Erklären von verschiedensten Dingen und nahm daraufhin sehr schnell eine Weiterbildungsmöglichkeit zum Kulturraum China wahr. In nur acht Stunden sollte uns beigebracht werden, was uns im Miteinander im Kollegium helfen würde.

Natürlich kann so ein Crashkurs nur ein Bruchstück von der Spitze des metaphorischen Eisbergs behandeln und doch gab er mir zumindest eines: Eine Ahnung von all dem, was ich nicht wusste.

Ähnlich verhält es sich mit Lea Schneiders Worten.

Foto des Buchs auf weißem Grund. Das Buch hat ein weißes Cover mit links dem Titel und rechts einer roten Illustration. Im Buch steckt ein Lesezeichen aus Metall mit einer kleinen Figur in grüner Kleidung, die auf dem Cover liegt. Rechts neben dem Buch liegt die rote Schachtel des Lesezeichens, darauf sind chinesische Schriftzeichen in schwarz und eine gelbe Maske aufgedruckt.
(Foto: S. Schückel)

Ich habe das nicht gewusst…

… ist ein Gedanke, der mir beim Lesen immer wieder begegnete. Nicht nur in Form der steten Wiederholung am Ende von manchen Textabschnitten, die dadurch irgendwann fast einem Mantra gleicht, sondern vor allem als Gedanke, der in meinem Kopf schon existiert bevor Lea Schneider ihn in ihren Zeilen festhält.

Sie schrieb ihre Gedichte in sechs chinesischen Metropolen und sammelt in ihnen Schlaglichter, die Einblick in die dortige Lebensweise geben, ohne sie erklären zu wollen. Vielmehr ist es ein literarisches Sammelsurium an Momentaufnahmen und eine Einladung zum Verweilen und Betrachten dieser Bilder. Lea Schneider lädt dabei ein, näher an die Bilder, die sie mitgebracht hat, heranzutreten.

„also alles sammeln, festhalten, umdrehen, verwenden, weil alles. alles wird verschwinden, und alles was du nicht verwendest, wird gegen dich verwendet werden […]“

(ebd. S. 47)

Sie schafft es, so paradox das auch klingt, Sprachlosigkeit mittels Sprache zu vermitteln und sät in jede bisherige Wissenslücke Neugier auf weitere Informationen. Hinter ihren Worten, dieser Einladung des Herantretens, steht dabei nie der Versuch, Überzeugungen zu transportieren. Es ist vielmehr eine ausgestreckte Hand, die man auf einer Entdeckungsreise ergreift.

Im Übrigen eignet sich dieses Buch wirklich sehr für den Einstieg in die Welt der Lyrik. Weder reimt Lea Schneider noch erschafft sie mehrdeutige Wortbilder und die Textpassagen hält sie auch relativ kurz. Dadurch kann man sich ganz behutsam darauf einlassen und rutscht nicht in alte – durch die Schulzeit geprägte – „was will sie damit sagen“-Gedankenmuster.

Foto einer aufgeschlagenen Seite. Auf der weißen Seite ist eine graue Form abgebildet, vermutlich der Umriss eines Hauses. Auf der grauen Form sind drei Zitate zu lesen, alle drei sind als Text verdreht, sodass man sie von links aus gesehen lesen kann. 
Zitat 1: When you encounter difficulties, you need to be optimistic. Pessimists tend to die. - zhou younguang
Zitat 2: The dictionary is based on the hypothesis - obviously an unproven one - that languages are made up of equivalent synonyms.- lydia liu
Zitat 3: Everything. Everyone begins with home. - xiaofei tian
(Foto: S. Schückel)

Geordnetes Gestaltungsgewimmel

Als ich das Buch das erste Mal aufgeschlagen habe, muss ich zugeben, dass mich die Seitengestaltung fast erschlagen hat. Auch optisch habe ich mich in eine Großstadt versetzt gefühlt, in der es auf jedem Meter und an jeder Ecke etwas zu entdecken gibt. Dass das vermeintliche Chaos durchaus System hat und nach nur kurzer Eingewöhnung überhaupt nicht mehr überfordert, ähnelt ebenfalls der Großstadt, die – hat man sie einmal verstanden – eine klare Struktur aufweist.

Da sind zunächst die großen Illustrationen von Yimeng Wu, welche die einzelnen Kapitel – die beschriebenen Metropolen – trennen. Es sind beinahe skizzenhafte Bilder, die ebenso wie Lea Schneiders Worte einen Blick in die jeweilige Stadt ermöglichen. Auch innerhalb der Kapitel finden sich immer wieder kleinere Zeichnungen, auf die der Blick beim Lesen fällt. Lenkt das ab? Durchaus, aber nicht auf eine schlechte Art und Weise. Vielmehr laden diese kleinen Bilder neben dem Text dazu ein, die beschriebenen Gedanken einen Augenblick wirken zu lassen.

In der Marginalspalte (das ist der Raum neben dem Text) finden sich zudem, dreht man das Buch, Tipps für weiterführende Entdeckungsreisen. Auf Chinesisch und Deutsch sind dort Bücher angeführt, die in irgendeiner Verbindung zum Text stehen. Sie müssen nicht, können aber durchaus etwas mit China zu tun haben. Mich haben diese Elemente zu Beginn etwas verwirrt, allerdings habe ich mir nach und nach einige für spätere Lektüren markiert.

Faszinierend in Wort und Bild

Sowieso habe ich mir beim Lesen – und darüber hinaus – gewünscht, die Schriftzeichen entziffern zu können. Aber mein diesbezügliches Unvermögen ist im übertragenen Sinne auch passend zur Lektüre: Vieles habe ich nicht gewusst, manches gelernt und an einigen Stellen werden blinde Flecken bleiben, die nur durch weitere Einblicke kleiner werden können.

Wie auch bei meinem oben beschriebenen Crashkurs im ehemaligen Job wurde mir bei diesem Buch klar, wie viel ich nicht weiß und auch das ist eine äußerst hilfreiche Erkenntnis.

Vielen Dank an das Verlagshaus Berlin für das Rezensionsexemplar.

Seid Ihr neugierig auf diese Form der Lyrik? Wart Ihr schon einmal in China?

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