Rezensionsexemplar
Lange Zeit habe ich mich nicht getraut, über meinen Musikgeschmack zu sprechen. Der lässt sich eigentlich mit „Hauptsache, es ist melodisch“ zusammenfassen, da ich sehr unterschiedliche Stücke höre und gerne auch Neues kennenlerne. Wenn man in der Schule jedoch immer nur ausgelacht wird, egal welche Musik man aktuell hört, dann hält man sich irgendwann wohl ganz automatisch mit jeglichen Aussagen zu Musik zurück.
Das habe ich mittlerweile einfach nur satt. Wenn ich Musik mag, schön, wenn nicht, dann halt nicht – aber ich lasse mir von niemandem mehr einreden, was ich gut zu finden habe oder nicht.
Eine kurze Abschweifung vorweg…
Ähnlich geht es mir im Übrigen mit der Formulierung, von mir gemochte Musikstücke, wären „ja gar nicht „meine Zeit““. Mal eine Frage: Bitte was ist „meine Zeit“? Ist damit ernsthaft nur meine Lebenszeit gemeint, d.h. mir dürfen nur Musikstücke etwas bedeuten, die ab dem 2. März 1990 veröffentlicht wurden? Falls ja, hoffe ich, dass das auch für alle gilt. Sorry, liebe Star-Pianist*innen – Beethoven ist halt „nicht Eure Zeit“. Mozart übrigens auch nicht.
Nein, mal im Ernst: Mir ist durchaus klar, dass manche Songs ganze Zeitabschnitte und Generationen prägen können und dementsprechend als Medienikonen im kollektiven Gedächtnis dieser Menschen besonders abgespeichert sind. Aber jedes bereits existierende Musikstück hat die Chance, eine ganz besondere Bedeutung für mich persönlich zu bekommen. Das mag mir niemand ansehen, aber es ist deshalb nicht weniger wahr.
Die Kinder hören Pink Floyd
… ist eine Aussage, die in meiner Familie durchaus zutreffend ist. Meine Schwester und ich kennen die Musik von Pink Floyd seit wir denken können und mich haben die verschiedenen Songs durch ganz unterschiedliche Zeiten getragen. Pink Floyd mag also nicht „meine Generation“ als solche geprägt haben, ist aber dennoch „meine Zeit“. Und in jedem Jahresrückblick von Streamingplattformen tauchen die Lieder auf – von meiner privaten Musikbibliothek mal ganz abgesehen.
Umso neugieriger war ich deshalb auf Alexander Gorkows Roman, der über seine eigene Kindheit und Jugend mit den Liedern von Pink Floyd schreibt. Es sind die 70er Jahre, eine Zeit, die ich nur aus den Erzählungen meiner Eltern kenne. Gorkows Worte lassen sie vor meinem inneren Auge aufleben.
Im Buch ist Alexander Gorkow 10 Jahre alt und seine herzkranke Schwester, bei der niemand weiß, wie lange sie noch zu leben hat, spielt ihm immer und immer wieder die (neuen) Platten von Pink Floyd vor. Ansonsten beschreibt er das Leben, das aus der Perspektive eines 10-Jährigen ganz besondere Eigenheiten aufzuweisen scheint. Alles ist ernst und einfacher in Kategorien zu unterscheiden, da die ironischen Zwischentöne der Älteren noch keine Graustufen aufzeigen. Als Kind ist alles, was ältere Menschen – vor allem die Eltern oder andere Erwachsene sagen – zu 100 Prozent wahr. Und auch das, was die Schwester sagt, muss stimmen – schließlich ist sie die große Schwester und weiß schon so viel mehr.
Wie unwissend alle Personen dabei eigentlich sind – und auch wie gefangen man in der eigenen Realität ist – arbeitet Gorkow subtil heraus. Ähnlich geschickt und beinahe lyrisch, wie er Songtextteile der Pink Floyd Lieder in seine Worte einfließen lässt. Kennt man die Texte, gibt es Stellen im Buch die sich wie mit einem eingebauten Soundtrack lesen lassen, was mir unheimlich gut gefallen hat.
70er Jahre – so war das damals..?
Was mir das Buch jedoch verleidet hat, ist die ableistische Sprache. So sehr ich die oben beschriebenen Stellen voller Musik genossen habe, so sehr haben mich diese Formulierungen doch entsetzt. Ein Mitschüler, der Trisomie 21 hat, wird mit dem M-Wort belegt. Auch der junge Alexander Gorkow wird „Sp*sti“ genannt, weil er stottert. Kann man beim Lesen sagen „ja, so war das damals halt“? Ja, das geht vermutlich.
Aber das Buch thematisiert immer und immer wieder, wie die Musik von Pink Floyd gegen bestehende Strukturen angeht und es gibt eine Szene in der die Schwester dem Vater – der diese Strukturen sehr konkret darstellt – die Stirn bietet. All diese Momente zusammen zeigen eigentlich: Klar, kann man – im Jahr 2021 – noch solche Worte unreflektiert dahin schreiben. Aber dann führt man sich halt selbst ad absurdum. Der Epilog spätestens zeigt: Der Autor kann sich reflektiert und differenziert mit etwas auseinandersetzen. Warum tat er es dann nicht mit seiner eigenen Sprache?
Sowieso der Epilog: Wenn ich das Buch empfehlen müsste, dann wegen des Epilogs. Aus diesem Kapitel hätte ein ganzes Buch werden können und es ist schade, dass das ganze Buch davor oft einfach belanglos dahinplätscherte und in ableistische Sprache abrutschte. Die wenigen schönen Momente aus den beinahe poetisch in den Text verwobenen Lyrics gingen dabei leider unter.
Hallo Sarah,
richtig so! Keiner hat über deinen Musikgeschmack zu bestimmen, oder zu lachen. Bitte traue dich jetzt, deine Musik zu benennen. Außerdem ist Pink Floyd ja nun wirklich nichts, womit man sich schämen muss.
Psychedelic Rock ist immer gut und und nicht verwerflich und mit THE DARK SIDE OF THE MOON, WISH YOU WERE HERE und THE WALL haben sie sich unsterblich gemacht. Monumental einfach viele ihrer Stücke und musikweisend. Wer diese Band lächerlich findet, hat kein Niveau.
Auch dein Foto zur Buchpräsenation ist total gelungen und speziell passend – bravo!
Liebe Grüße,
Simone.