Rezension: „Der Freund“ von Sigrid Nunez (Übersetzung: Anette Grube)

Dieses Buch ist ganz plötzlich bei mir eingezogen – in gewisser Weise ist es genauso überraschend in meinen Besitz gekommen wie die Protagonistin der Geschichte einen Hund bekam. Nahezu aus heiterem Himmel.

Während in der Geschichte der beste Freund der Protagonistin Selbstmord beging und ihr Apollo, eine Dänische Dogge (bei uns heißt diese Art Deutsche Dogge), hinterließ, empfahlen mir gleich zwei meiner liebsten Buchhändler*innen dieses Buch. Maria-Christina Piwowarski aus dem ocelot in Berlin stellte es in Folge 12 der Letzten Lektüren vor und Elias aus dem Dresdner Hugendubel schrieb mich über Instagram an, dass er sich in das Buch so sehr verliebt hätte und ich es unbedingt lesen müsse. Also habe ich 10 Minuten Wartezeit auf die nächste Straßenbahn zwischen Job und Physiotherapie ausgenutzt und das Buch im Eiltempo gekauft.

Die Ausgangssituation der Protagonistin ist wesentlich weniger schön als meine kurze Buchkaufaktion. An dieser Stelle eine Triggerwarnung: Im Buch wird (auf nicht explizit beschriebene Weise) Suizid thematisiert.

Foto des Buches auf Fußboden , Cover zeigt verschiedene Farbflächen und vorne ein Bild eines Hundes)
(Foto: S. Schückel)

Auf den Hund gekommen

Der beste Freund der Protagonistin nimmt sich aus heiterem Himmel das Leben. Er hinterlässt keinen Abschiedsbrief, aber dafür einen Hund. Apollo. Diesen hat er eines Tages zufällig im Park gefunden und trotz aller Recherchen ließ sich der eigentliche Besitzer nicht ausfindig machen. Nach dem Tod des Freundes soll Apollo zur Erzählerin, einer Schriftstellerin die in New York City lebt, ziehen – obwohl diese in ihrem Apartment keine Hunde halten darf und die Wohnung auch viel zu klein für so einen großen Hund ist.

Ich hatte gerade am Anfang Schwierigkeiten, in die Geschichte hineinzukommen. Das lag jedoch weniger an der Geschichte, sondern vielmehr an den Leseumständen. Im Buch kommen die Szenenwechsel sehr plötzlich und die Gedankengänge der Erzählerin wechseln sehr sprunghaft von einem Thema zum nächsten. Das ist völlig verständlich, schließlich sind Gedanken nach Trauerfällen und anderen Traumata alles andere als linear oder leicht nachvollziehbar. Allerdings passten dadurch meine Lesegewohnheiten – hauptsächlich in Straßenbahnen bzw. zwischendurch immer mal ein paar Seiten – teilweise nicht zum Buch. Erst als ich mit einer dicken Erkältung vom HNO auf die Couch beordert wurde, kam ich so richtig in die Geschichte rein.

Wenn man die Sprunghaftigkeit der Gedankengänge aber im Hinterkopf behält und keine „klassische“ Erzählung erwartet, die dem üblichen „von A nach B“-Schema entspricht, kann man sich sehr gut darauf einlassen. Zumal die Gedanken der Protagonistin keineswegs wirr sind. Im Gegenteil: Sie besitzen eine eindringliche Klarheit und sind eine Bereicherung für die eigenen Überlegungen.

Philosophie der Trauer und der Freundschaft

Ich liebe sowieso Bücher, in denen auf andere Bücher verwiesen wird. Und genau so ein Buch ist „Der Freund“: Es werden Autor*innen und ihre Werke genannt, weil Literatur als wichtiger Teil des Lebens von sowohl der Erzählerin als auch dem Verstorbenen war und es auch in der Trauer für sie bleibt. Philosophisch und zum Teil einordnend, teils empfehlend, manchmal auch kritisierend verweist sie auf (mir) bekanntere und unbekanntere Werke der Literatur, die in irgendeiner Form stets einen Bezug zu ihrer Trauer haben. Oder zu Hunden und der Beziehung zwischen Mensch und Hund, denn die Beziehung zu Apollo, die ihr durch ihren toten Freund geradezu aufgedrängt wird, macht einen großen Teil ihrer Trauerarbeit aus.

Ich glaube, wenn man dieses Buch liest und gerade einen geliebten Menschen verloren hat, können all diese Gedankengänge sehr tröstlich sein. Sigrid Nunez wählt alle Worte beinahe behutsam und sehr bedacht, so dass man sich beim Lesen irgendwie sogar geborgen fühlt. Und nicht nur dass: Auch Humor findet sich in diesem Buch, trotz des eher traurigen Themas.

Besonders beeindruckt hat mich zudem das Spiel mit dem Bruch der „vierten Wand“. Als Leser*in fühlt man sich an mehreren Stellen in der eigenen Gedankenwelt ertappt und fast möchte man über die Schulter blicken, ob nicht Sigrid Nunez grinsend hinter einem steht.

Viel Gefühl und kluge Gedanken

Ich liebe kluge Bücher und ich liebe dieses Buch eben weil es so klug ist. Es ist behutsam ohne zu behüten, es ist tröstlich ohne mit Trost zu überschütten und es ist witzig ohne unpassenden Klamauk. Es ist ein Buch, dass ich allen in die Hand drücken möchte aber ganz besonders denen, die Trost suchen.

Danke Maria und Elias für diese wunderbare Empfehlung!

Mehr zum Buch:*

  • 235 Seiten
  • 22 Euro
  • Übersetzerin: Anette Grube
  • Verlag: Aufbau Verlag
  • ISBN: 978-3-351-03486-3

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert