Rezension „Hors Texte“ (Odile Kennel)

Kennt Ihr das, wenn Euch Namen oder Sätze im Kopf herumgehen wie bei Ohrwürmern? Wenn ein und dieselbe Wortgruppe immer und immer wieder in Euren Gedanken auftaucht?

„Retracer la ligne“ war so ein „Ohrwurm“ für mich – das und der Name Odile Kennel. Woher ich beides habe, wusste ich – im Gegensatz zu manch einem musischen Ohrwurm – sofort: Die „Letzten Lektüren“ von blauschwarz Berlin haben mir beides sozusagen eingeflüstert. Genauer gesagt Ludwig, der den Podcast im April mit eben diesem Gedicht aus Odile Kennels „Hors Texte“ begann, bzw. Maria, die ihm bei den französischen Worten aushalf.

Foto vom Buch auf Holzfußboden

(Foto: S. Schückel)

Und als mir diese Zeile vom Gedicht wieder und wieder – sogar in den aberwitzigsten Momenten – durch den Kopf ging und sich das auch Wochen später nicht änderte, fragte ich beim Verlagshaus Berlin Verlag an, ob ich ein Leseexemplar bekommen könnte. Ich konnte und in den vergangenen Wochen habe ich, so wie dieser Gedichtband es scheinbar von mir will, immer und immer wieder einzelne Gedichte gelesen, an sie gedacht, sie stellenweise auswendig gelernt, sie empfohlen – und nun versuche ich mich an einer Besprechung.

Übrigens ist dies auch ein Beitrag zur Aktion „Wir lesen Frauen“ von Eva-Maria Obermann. (Kategorie: Lies ein Buch einer Autorin)

Die Magie des Alphabets

Das Alphabet aber / gibt Laut, raunt, barmt, zetert / stöhnt, rutscht im Mund herum, schlüpft / unter die Zunge, das Alphabet / braucht Raum, breitet sich aus / auf der Haut.

(S. 28)

In gewisser Weise beschreiben diese Worte, die ebenfalls aus Odile Kennels Gedichtband „Hors Texte“ stammen, ihre Gedichte und Gedanken sehr gut. Sie nimmt diese 26 Zeichen (manchmal auch ein paar mehr) und fädelt sie auf einer Schnur zu Worten auf, die den Leser*innen dann in Form von zarten Gefühlen begegnen, die man viel mehr spürt als wirklich liest.

Es sind Gedichte zum lauten Vorlesen, zum halblauten Murmeln – und ja, natürlich auch zum stillen Lesen. Odile Kennel geht virtuos mit Sprache um. Dabei verwebt sie das oft harsch klingende Deutsch mit den melodischeren französischen Worten und selbst die Passagen, die für mein Schulfranzösisch zu komplex waren konnte ich beim Lesen doch irgendwie „fühlen“.

Das Büchlein ist aber auch etwas fürs Auge: Die Illustrationen von Martina Liebig sind mal minimalistisch, mal abstrakt und haben mich auch beim x-ten Betrachten faszinieren können.

Lyrik zum Fühlen und zum Verstehen

Ohnehin ist es ja so, dass mich Lyrik immer auf einer emotionalen Ebene packen muss, um mich zu begeistern. Noch schöner ist es natürlich, wenn ich hinter den Worten und Emotionen etwas auch rational verstehen kann. Das ist bei „Hors Texte“ definitiv der Fall. Mal humorvoll, mal tiefsinnig und ja, manchmal auch so, dass ich es nicht verstehe – aber dieser Gedichtband konnte mich begeistern. Und zwar so, dass ich nun nicht mehr nur eine Zeile als Ohrwurm im Kopf habe, sondern gleich mehrere.

Und ich habe noch mehr Lust auf Lyrik.

Mehr zum Buch:*

  • Preis: 17,90 Euro
  • Broschiert: 120 Seiten
  • Verlag: Verlagshaus Berlin; Auflage: 1 (9. März 2019)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3945832322
  • ISBN-13: 978-3945832325

2 Gedanken zu “Rezension „Hors Texte“ (Odile Kennel)

  1. Pingback: #WirLesenFrauen – ich bin (endlich) dabei | Studierenichtdeinleben

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