„#poesie“ (Nora Gomringer und Martin Beyer (Hrsg.)

(Rezensionsexemplar, unbezahlte Werbung)

Lyrik

Dieses Wort ruft bei vielen wohl Erinnerungen an die Schulzeit wach. Erinnerungen, in denen man im Deutschunterricht mehr oder minder alte Gedichte „zu Tode interpretieren“ musste und man das Gefühl hatte, man könne nur dann eine gute Note bekommen, wenn man die Ansichten der Lehrer*innen herbeten kann.

Doch Lyrik kann so viel mehr und Gedichte können und sollen auf unterschiedliche Weise gelesen bzw. rezitiert werden. Wie greifbar und – ja – wie alltäglich und cool Lyrik sein kann, zeigt das Buch „#poesie“ aus dem Voland & Quist Verlag, das mir der Verlag freundlicherweise als Rezensionsexemplar zu Verfügung gestellt hat.

(Foto: S. Schückel)

Worum geht es?

Das Buch ist zweigeteilt: Im ersten Abschnitt werden verschiedene Epochen in aller Kürze vorgestellt und durch jeweils eine Grafik passend illustriert. Im Zweiten Abschnitt findet sich dann die eigentlichen Gedichte – oder eher: die eigentlichen lyrischen Texte. Diese sind alphabetisch geordnet und mittels Hashtags miteinander verbunden.

Mein Eindruck:

Viele Schülerinnen und Schüler können sich nicht vorstellen, dass ein Mensch des Barocks, der Klassik, der Romantik … ähnlich oder gar Ähnliches gedacht und literarisch zum Ausdruck bringen wollte, wie ein Mensch das heute macht.“

(S. 8)

Dieser Grundgedanke, der im Vorwort des Buches genannt wird, ist genau der Gedanke, der mir im Schulunterricht nie kam. Versteht mich nicht falsch – ich hatte zwei wunderbare Deutschlehrerinnen, die es geschafft haben, dass sich alle Schüler durch zumindest irgendeines der Pflicht-Bücher angesprochen haben. Aber auch sie haben uns nie dazu gebracht, die (mehr oder minder) großen Dichter (leider 100% Männer) vergangener Zeiten als ganz normale Menschen mit Sorgen oder Hoffnungen wahrzunehmen. Lyrik blieb dadurch stets abgehoben und nie greifbar. Die Frage, die sich mir also sofort beim Lesen gestellt hat, war: Schafft #poesie es, dass ich die Gedanken der Dichter*innen als etwas Reales wahrnehme?

Der erste Teil des Buches nimmt sich zunächst einmal den verschiedenen literarischen Strömungen an. In aller Kürze werden die Eckpunkte von Romantik, Klassik und co mit einem Augenzwinkern zusammengefasst – ohne jedoch zu ausschweifend zu werden und die Leser*innen dadurch zu langweilen. An mancher Stelle hätte ich mir zwar noch mehr Informationen gewünscht, da die Zusammenfassungen sehr kurzweilig sind und ichgerne noch mehr davon gelesen hätte, im Endeffekt spricht da jedoch der Literatur-Nerd aus mir, dem wohl auch ein 1000-Seiten-Werk zu kurz gewesen wäre. Gerade für Schüler*innen, die zum ersten Mal mit den Details der jeweiligen Epoche in Berührung kommen, sind die Texte informativ genug und wecken Neugier – was wohl beim angestaubten Ruf von Lyrik das Wichtigste ist.

(Foto: S. Schückel)

Die Illustrationen zu den Epochen bzw. Strömungen haben eigentlich einen eigenen Blogbeitrag verdient. Die Motive setzen das, was die jeweilige literarische Richtung ausgemacht hat, kunstvoll in Szene. Elemente aus bekannten Werken – z.B. der Pudel aus Goethes „Faust“ – sind dabei so zusammengefügt, dass man bei jeder lllustration verweilt und übrlegt, welche Werke man identifizieren kann. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieser erste Teil des Buches auch wunderbar in den Schulunterricht passt, um einen ersten Überblick zu vermitteln.

Der eigentliche Hauptteil des Buches ist, wie oben erwähnt, gefüllt mit Lyrik jeder Art. Von witzig bis abgedreht, von Songtexten bis hin zu Gedichten, die man besser laut liest. Die Mischung ist zugegebenermaßen reichlich „wild“, was aber genau den Reiz ausmacht. Man wird von humorvollen Zeilen in solche hineingeworfen, die einem aus ganz anderem die Tränen in die Augen treiben. Manche Gedichte liest man mehrmals, weil sie so schön sind – und manche versteht man einfach nicht und doch hat man das Gefühl, dass auch das in Ordnung ist.

In gewisser Weise wird man als Leser*in mit den Gedichten dabei allein gelassen, denn es gibt keine Erklärungen in diesem Abschnitt des Buches. Das kann anfangs überfordern – vor allem, wenn man die Schulzeit schon durchlaufen hat und ständige Erläuterungen und „das hat der/die sich dabei gedacht“-Kommentare gewöhnt ist. Stück für Stück erarbeitet man sich beim Lesen jedoch eine Art Bauchgefühl dafür, die (meisten der) Texte zu verstehen, d.h. man beginnt, Lyrik nicht mit dem Kopf zu konsumieren – wie es in der Schule gelehrt wurde – sondern mit dem Herzen zu fühlen. Dieser Prozess ist schwer in Worte zu fassen und mag auch nicht bei allen Leser*innen eintreten – bei mir war es jedoch so.

Hilfreich sind die Hashtags, welche unter jedem Text zu finden sind. Sie bieten in Wortfetzen gefasste Hinweise, welche Themen im Text angesprochen werden, ohne die Interpretationsgedanken der Leser*innen zu beschneiden. Es sind vielmehr Gedankenstützen, mit denen die eigene Herangehensweise geleitet werden kann und die gleichzeitig als Querverweise im Buch – gerne aber auch im Netz (z. B. auf Twitter) dienen. Die Hashtags vermitteln es vielleicht noch mehr als die eigentlichen Texte des Buches: Alles kann Poesie sein. Was Poesie ist und ob es gefällt liegt dann wieder im Auge der Betrachtenden – was wiederum eine sehr emanzipierte Herangehensweise ist.

Fazit:

Ganz ehrlich? Hätte mir ein*e Deutschlehrer*in gesagt, dass ich völlig frei an Lyrik herantreten kann, wäre so manch eine Deutschstunde spannender gewesen (und das sage ich als Literatur-Nerd!). Die Freiheit, unkonventionell an Texte heranzutreten wird in der Schule nicht oder nur selten vermittelt. Lyrik passt aber nicht in vorgefertigte Schemata – das wird in diesem Buch ganz deutlich. Es bietet einen völlig neuen Zugang zu Lyrik, macht Lust auf mehr und Neugierig auf diese Künstler*innen – aber auch darauf, auf eigene Faust Lyrik zu erkunden.

Für mich ist dieses Buch der Anlass, mehr Lyrik zu lesen und vielleicht sogar mal selbst wieder zu schreiben.

5 von 5 Sternen.

Mehr zum Buch: *

  • Preis: 20€
  • Taschenbuch: 128 Seiten
  • Verlag/Leseprobe: Verlag Voland & Quist
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3863911970
  • ISBN-13: 978-3863911973

 

2 Gedanken zu “„#poesie“ (Nora Gomringer und Martin Beyer (Hrsg.)

  1. Oh ja, wie wäre es mit einer kleinen Lyrikleserunde mit unseren liebsten Gedichten 💖 Danke für den Buchtipp, genau sowas versuche ich meinen Studenten auch beizubringen. Lg

  2. Das klingt toll! Die Meinung der Lehrer war mir nie wichtig, aber … mir wurde verankert, dass Gedichte wie Rätsel sind, in denen der Autor seine Gedanken verpackt. Teilweise stimmt das auch. Aber es ist schwer möglich, Gedichte vor 300 Jahren zu analysieren, wenn man nicht in dieser Zeit gelebt hat – die Schüler von heute sind einfach nicht die Zielgruppe der Gedichte 🙂

    In die Realität geholt hat mich vor allem der Kontakt mit echten Autoren – wenn man sie fragt „Was wolltet du damit ausdrücken?“ kommt manchmal nur ein Schulterzucken. Außerdem: Was will man denn tun? Man kann niemanden fragen …

    Texte mit dem Herzen zu lesen, das ist wichtig 🙂

    Dennoch: Als Autorin drücke ich mich gern in Gedichten aus, weil ich mich in Reimen und Zeilenumbrücken wohl fühle und weil ich es mag, wenn Worte sich reimen und ich die Grenze, die sich dadurch ergibt, gern nutze. Als Leserin habe ich immer noch Berührungsängste. Gedichte wirken auf mich direkter, komprimierter und zu manchen Texten finde ich keinen Zugang.

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