Rezension: „Vintage“ (Grégoire Hervier)

Wenn ich ehrlich bin, konnte ich mit Musik erst etwas anfangen, nachdem ich Musik in der Schule abgewählt hatte. Schnöde Notenlehre oder das Auswendiglernen irgendwelcher Jahreszahlen oder Werke berühmter Künstler fand ich einfach nur furchtbar langweilig und ich konnte diejenigen nicht verstehen, die der Musik ihr Leben verschrieben. Nach und nach – nicht zuletzt auch durch meinen Vater, der mir immer mal wieder Songs vorspielt, die ihm gefallen – habe ich die Schönheit der Musik für mich entdeckt. Besonders angetan haben es mir Gitarrenklänge – weshalb ich sofort wusste, dass ich „Vintage“ lesen muss.

Vielen Dank an den Diogenes Verlag, dass ich das Buch vorab lesen durfte.

(Foto: S. Schückel)

Inhalt:

Thomas Dupré, der als Aushilfe in einem Gitarrenladen arbeitet, verdankt es einem Zufall, dass er nach Schottland reist, um einem Sammler eine seltene Gitarre aus eben diesem Laden zu übergeben. Doch eben dieser Sammler hat noch einen weiteren Auftrag für ihn – einen, der Thomas reich machen könnte: Er soll beweisen, dass die legendäre Gibson Moderne tatsächlich existiert hat. Seine Suche führt ihn an die unterschiedlichsten Orte und zu den unterschiedlichsten Menschen, die alle ihr ganz eigenes Interesse an der Moderne haben. Bei seinen Recherchen scheint jedoch jede beantwortete Frage nur neue Rätsel zu Tage zu fördern und er merkt schnell, dass ihm diese Aufgabe mehr als nur seinen Sachverstand abfordern wird.

Mein Eindruck:

Gab es die legendäre 57er Gibson Moderne wirklich? Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. Genau diesem Mythos nutzt Grégoire Hervier und schreibt eine Geschichte drumherum die ebenso wahr oder erfunden sein könnte wie der Mythos selbst. Er schreibt von Sammlern, die ihre Gitarren geheim halten und Zufallsfunden, die seltene Gitarren dort auftauchen lassen, wo man sie wohl nie vermutet hätte. Doch nicht nur dieser literarische Tanz auf dem Drahtseil zwischen Realität und Fiktion ist es, der mich unweigerlich in den Bann des Buches gezogen hat. Es ist auch die Art und Weise wie Hervier schreibt: Der Roman – der übrigens musikalisch passend in Intro, Strophen, Bridge, Solos, Refrain und Outro untergliedert ist – lebt durch ein beinahe rasantes Tempo. Immer wieder gibt es eine neue Wendung in der Handlung, so dass man als Leser nie genau weiß, wohin die Reise von Thomas führen wird. Auch Potential in der Handlung, von dem man erwarten könnte, dass es die Geschichte in eine bestimmte Richtung lenkt, nutzt er nie so, wie man es vermutet hätte.

Und dennoch nimmt Hervier sich die Zeit, allerhand Details zu Gitarren, ihrer Geschichte und verschiedenen Musikstücken zu erläutern. Diese Ausführungen sind dabei so gehalten, dass sie selbst für Laien verständlich und niemals langweilig sind. Vielmehr machen gerade diese Textstellen den Charme des Buches aus, denn man kann die Musik hinter den Zeilen beinahe hören. Zudem erkennt man dadurch auch ohne größeres Hintergrundwissen – oder das absolute Gehör – welchen Wert eine Gitarre für ein Musikstück haben kann, da die individuellen Eigenschaften des Instruments den Song auf eine ganz bestimmte Weise prägen. Dieser Punkt lässt sich auch auf dieses Buch übertragen: Kein anderer Autor hätte wohl die Geschichte der Gibson Moderne auf diese interessante, spannende und auch lehrreiche Art und Weise in Form eines Krimis schildern können.

Der Verlag hat übrigens ein passendes Mixtape zum Buch erstellt. (Grafik: Stayed Up All Night / Diogenes Verlag)

Sowieso: Die Musik. Im Buch ist die Musik nie nur das Mittel zum Zweck, damit die Handlung vorangetrieben wird. Vielmehr zeigt Grégoire Hervier, welch unterschiedliche Wirkung Musik auf den Menschen haben kann und was Musik und Leben gemein haben. Es geht dabei häufig, aber nicht immer, um Erfolg. Die 57er Moderne war zunächst ein Flop und gewann erst später durch das Interesse von Sammlern an Wert. Ähnlich ergeht es manch einem Künstler, dessen Werk erst spät – nach dessen Tod – an Bedeutung gewinnt. Der beinahe philosophische Umgang mit Musik, die verschiedenen Gedanken zu den Stücken und zu Ruhm und Erfolg, die zur Sprache kommen, machen für mich den besonderen Reiz der Geschichte aus. Jede Szene wird mit diesen tiefer greifenden Aspekten untermalt, ohne, dass die Leichtigkeit der Geschichte verloren geht.

Fazit:

Da ist Musik drin! „Vintage“ liest sich so, wie sich ein guter Song anhört und man möchte dieses Buch am liebsten auf „repeat“ setzen und immer wieder von vorne beginnen. Virtuos verwebt Grégoire Hervier Realität und Fiktion und lässt den Mythos der Gibson Moderne auch für Laien aufleben.

5 von 5 Sternen.

Mehr zum Buch:*

Weitere Rezensionen sind u.a. hier erschienen: Lesenslust || Jules Leseecke || Feiner Buchstoff || Buchsichten

  • Preis: 24 €
  • Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
  • Verlag: Diogenes; Auflage: 1 (23. August 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3257070020
  • ISBN-13: 978-3257070026
  • Originaltitel: Vintage
  • Übersetzer: Alexandra Baisch, Stefanie Jacobs

 

11 Gedanken zu “Rezension: „Vintage“ (Grégoire Hervier)

    • Einen weiteren Versuch hat das Buch auf jeden Fall verdient 🙂 Wenn’s aber nicht ist, ist es halt nicht. Kann ja nicht jedem jedes Buch gefallen. Das wäre ja noch komplizierter 😉

  1. Huhu,
    danke dir für diese tolle Rezension. Ich habe schon viel über das Buch gelesen, aber noch keine Rezension. Du hast mich jetzt dazu gebracht es auf die Wunschliste zu packen.
    Ich wünsche dir einen schönen Tag.

    Liebe Grüße
    Tamara

  2. Pingback: Vintage – the lost art of keeping secrets

  3. Pingback: {Rezension} Vintage von Grégoire Hervier | Bella's Wonderworld

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