The Parthenon of Books – Verbotene Bücher gestern und heute (Teil 2)

Im Parthenon of Books auf der documenta 14 in Kassel werden Bücher, die früher oder heute in verschiedenen Lädern verboten waren bzw. sind ausgestellt. Die Hintergründe der Parthenon-Installation habe ich Euch im ersten Beitrag dieser Reihe vorgestellt. Der zentrale Punkt dieses Kunstwerks ist das Hinweisen auf Zensur und darauf, dass Zensur und Demokratie sich eigentlich gegenseitig ausschließen.

Naheliegend ist nun natürlich die Frage nach Zensur in Deutschland.*

(Übrigens: Bleibt dran, in Beitrag Nummer drei gibt es dann etwas zu gewinnen!)

(Marta Minujín, The Parthenon of Books, 2017, Friedrichsplatz Kassel, documenta 14, Foto: Roman März)

Verbotene Bücher – oder: Remota

Wenn man sich mit dem Thema Zensur in Bezug auf Bücher näher befasst, stolpert man früher oder später über den Begriff der „Remota“. Das ist die Bezeichnung für Bücher in Bibliotheken, die – zumeist aus juristischen, politischen oder moralischen Gründen – nicht der Öffentlichkeit zugänglich sind und lediglich von Forschern genutzt werden dürfen. Wörtlich lässt sich „Remota“ mit „Weggeschafftes“ übersetzen. Oft werden diese Bestände auch als „Giftschränke“ der Bibliotheken bezeichnet und darauf angespielt, dass in medizinischen Einrichtungen besonders gefährliche Substanzen gesondert aufbewahrt werden müssen.

Besonders verbreitet waren die Remota beispielsweise in katholisch geprägten Gebieten. Der Index Librorum Prohibitorum, der erst 1966 offiziell abgeschafft wurde, sorgte dafür, dass es viele Remota gab, an die die normale Bevölkerung nicht herankam. Zu den weggesperrten Büchern – die im übrigen meist nur älteren Bibliothekaren aus stabilen Familienverhältnissen anvertraut wurden, da diese als verlässlich galten – gehörten religiöse, philosophische und politische Werke, deren Inhalt in Konflikt mit der katholischen Lehre stand.

Remota heute und die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz

Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.

(§5 Abs. 2 Grundgesetz)

Artikel 1 des Grundgesetzes beschreibt die Freiheiten, welche in Bezug auf Meinung und Publikationen jeder Art gelten. Artikel 2 beschreibt die Schranken dieser Freiheiten.

Artikel 2 kann – betrachtet man die Geschichte der Zensur in Deutschland – als ein Beispiel für den erfolgten Lernprozess betrachtet werden. 1819 führten die Karlsbader Beschlüsse zahlreiche Zensurvorschriften ein und insbesondere Werke, die sich für Demokratie aussprachen, wurden verboten. Während der Weimarer Republik schlug das Pendel der Zensur dann in die andere Richtung und es gab lediglich eine Frühform des Jugendschutzgesetzes, das zu weggesperrten Werken pornigraphischen Inhalts führte. Was im Nationalsozialismus passierte, ist uns allen bestens bekannt: Bücher, die nicht in das rassistische und ideologische Weltbild der Nazis passten, wurden verboten, weggesperrt und sogar verbrannt. Die Alliierten sorgten in der unmittelbaren Nachkriegszeit dafür, dass NS-Werke aus den öffentlichen Beständen der Bibliotheken verschwanden.

Im Grundgesetz ist nun ein Mittelweg zwischen den sehr restriktiven und der sehr liberalen Herangehensweise zu finden. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien prüft, ob Werke unter das Jugendschutzgesetz fallen und unter Verschluss kommen. Auch gewaltverherrlichende Schriften, Bücher, welche kriminelle Taten verherrlichen bzw. erklären oder solche Werke, welche die Persönlichkeitsrechte – ebenfalls ein wichtiges Grundrecht – anderer verletzen, können verboten werden. Ein prominentes Beispiel hierfür ist „Esra“ von Maxim Biller – hier hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot bestätigt. All diese Werke können nur noch für wissenschaftliche Zwecke eingesehen werden.

Übrigens: Im Parthenon of Books von Marta Minujín werden keine Bücher verwendet, die unter diese Schranken der Publikationsfreiheit fallen, d.h. in Deutschland indexiert sind. Zudem werden – verständlicherweise – keine Bücher nationalsozialistischen Inhalts im Kunstwerk verbaut.

Stöberempfehlung für verbotene Bücher

Es gilt: Meine Auswahl der Bücher, die ich Euch vorstellen möchte, ist rein willkürlich und sicher kann man bei jedem Werk darüber diskutieren, ob es nicht ein noch wichtigeres gäbe, das stattdessen vorgestellt werden müsste. Die Auswahl hier ist nur exemplarisch gedacht und soll lediglich das Interesse an ehemals verbotenen Büchern wecken. Eine kurze Erklärung gibt Euch einen Einblick in meinen Entscheidungsprozess.

 

Kurt Tucholsky, Lesebuch

Warum verboten: Kurt Tucholsky ahnte früh, in welche Richtung sich Deutschland Ende der 1920er entwickelte. Als bekennender Pazifist warnte er vor der Erstarkung der politischen Rechten. 1929 emigrierte er nach Schweden – nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde ihm sogar die Staatsangehörigkeit aberkannt. Auch seine Werke landeten 1933 auf den Scheiterhaufen in Berlin, weil sie in den Augen der Nationalsozialisten Werke „undeutschen Geistes“ waren.

 

Warum ausgewählt: Ich mag die Scharfsinnigkeit Tucholskys, dessen Gedanken teilweise immer noch aktuell sind. Zudem war Tucholsky nicht nur Publizist, sondern auch Literaturkritiker – heute wäre er vielleicht sogar selbst ein Blogger in diesem Bereich. Viel interessanter jedoch ist, dass seine Aussagen auch heute noch polarisieren, weshalb es in meinen Augen wichtig ist, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Schließlich lebt Demokratie durch den offenen Diskurs verschiedener Ansichten. Und mit einem Lesebuch kann man sich wohl am besten einen eigenen Eindruck verschaffen.

 

 

Joseph Roth, Der Leviathan und andere Meistererzählungen

Warum verboten: Joseph Roths jüdische Herkunft machte ihn schnell zum Opfer der nationalsozialistischen Ideologie, seine Werke wurden verbrannt und er musste ins Exil flüchten. Entwurzelung und das jüdische Leben sind zwei Thematiken denen er sich – auch schon vor der Machtergreifung Hitlers – gewidmet hat.

 

Warum ausgewählt: Das Verbot von Büchern aufgrund der Herkunft und der Religion ihrer Autoren ist eines, das ich besonders bitter finde. Egal, was diese Autoren inhaltlich zu sagen haben – es war ihre Herkunft, welche ihre Werke in den Augen des jeweiligen Systems diskreditieren. Von Joseph Roth habe ich noch nichts gelesen. Das was ich zu seiner Person gefunden habe, hat mich jedoch neugierig auf einen Autor gemacht, der auch in sich selbst immer wieder Widersprüche fand und mit diesen haderte. Ich denke, in „Der Leviathan und andere Meistererzählungen“ findet man einen guten Zugang zu seinem Werk und dem was ihn bewegt hat.

 

 

 

 

 

*Ein kurzer Hinweis am Rande: Im Internet findet man vieles und bei diesem Thema finden sich sehr schnell auch Artikel, die in die Kategorie „Verschwörungstheorie“ gehören und bei denen die Aluhüte der Autoren unübersehbar sind. Wenn Ihr Euch also zum Thema weiter informieren wollt, bleibt bitte stets kritisch den Quellen gegenüber.

 

7 Gedanken zu “The Parthenon of Books – Verbotene Bücher gestern und heute (Teil 2)

  1. Pingback: The Parthenon of Books (Teil 3) – mit Gewinnspiel | Studierenichtdeinleben

  2. Liebe Sarah,

    heute finde ich auch mal Zeit, ein paar Gedanken hier zu lassen.

    Ich bin froh, dass wir hier in Deutschland mittlerweile einen sehr guten Weg gefunden haben. Wenn ich sehe, wie oft bspw. in den USA nach Verboten verlangt wird und Bücher zumindest als Schullektüre klar untersagt werden, nur weil den Eltern oder der Schulleitung ein im Buch aufgegriffenes Thema nicht passt bzw. dort etwas vorkommt (Homosexualität, Sexualität allgemein), das bei den Konservativen für Entsetzen sorgt … Aktuellstes Beispiel (auch hier in Europa) sind ja die Diskussionen, in denen ein Verbot von „13 Reasons Why“ verlangt wird (ironischweise hier aber fast nur für die Verfilmung).

    Ich finde, Zensur ist nicht nur der falsche, sondern auch der leichteste Weg: Es ist doch einfacher, etwas Kritisches zu verbieten, als sich intensiver damit auseinanderzusetzen und die behandelten Themen mit den Kindern/ Jugendlichen (oder auch Erwachsenen) sachlich zu besprechen …

    • Liebe Kathrin,

      besser spät als nie – das Leben kam zwischen mich und die Antwort-Kommentare.

      Ich gebe Dir absolut recht: Zensur ist etwas, das als Maßnahme zwar möglich ist, das jedoch leicht mehr Schaden anrichten kann. Ich finde allerdings auch die Diskussion um Zensur immer schwierig. Als Kommunikationswissenschaftlerin verfechte ich die Meinungs- und Publikationsfreiheit mit großer Sturheit – möchte jedoch auch eine lebhafte Debatte um Zensur, ohne, dass man direkt immer schreit „Alle Zensur ist falsch“. Da denke ich an eben jene Remota, die terroristische Taten verherrlichen oder so genau beschreiben, dass sie als Waffe angesehen werden müssen. Wie gesagt: Zensur darf niemals leichtfertig eingesetzt werden, aber auch hier gibt es (leider) immer zwei Seiten der Medaille. Auch wenn das mein KoWi-Herz in eine massive Zwickmühle bringt.

      Und bei „13 Reasons why“: Ich kenne die Serie nicht, aber habe etwas von der Diskussion mitbekommen. Die ganze Diskussion um den „Werther-Effekt“ der bei solchen Themen mitschwingt ist schwierig. Ich glaube, es kann für einige wenige wirklich schlimme Konsequenzen haben, wenn sie die Serie sehen und mit niemandem drüber reden können. Ein pauschales Verbot rechtfertigt das nicht – wohl aber eine FSK-Einstufung. Auch wenn psychische Gesundheit nicht ans Alter gebunden ist. Wie gesagt: Schwierig.

      Danke für Deinen Kommentar – ich find’s klasse, welche Perspektiven durch Kommentare wie Deinen hier reinkommen 🙂

      • Hallo Sarah,

        ich denke, wir ticken da ähnlich – als Medienpädagogin und ebenfalls Kommunikationswissenschaftlerin hab ich da eine ähnliche/die gleiche Ansicht wie du. Ich finde es wichtig, dass Diskurse angeregt werden und dass das, was für Empörung/ Kritik sorgt, nicht einfach durch Zensur unter den Tisch gekehrt wird in der Hoffnung „Aus den Augen, aus dem Sinn“. Aber wie du sehe ich Situationen, in denen zu überlegen ist, wie mit terroristischer/ nationalistischer/ sonstiger extremistischer Propaganda umzugehen ist. Verbote dämmen sicher ein, aber was verboten ist, reizt natürlich auch und wer an etwas unbedingt rankommen oder etwas unbedingt verbreiten möchte, wird dafür immer einen Weg finden – erst recht in Zeiten des Internets. Umso wichtiger wird es, dass Medien, Gesellschaft, Pädagogen aufklärerische und präventive Arbeit leisten. Dazu zählt in meinen Augen auch, dass man sich mit entsprechenden Schriften durchaus auseinandersetzt, ihre Inhalte und Rhetorik erörtert und die dadurch stattfindende Beeinflussung auch für Jüngere begreifbar macht.* Das ist auch keine Garantie oder DIE Lösung schlechthin, aber es ist – abseits von Zensur – die einzige Möglichkeit, die uns bleibt und die nicht gegen Grundrechte verstößt.

        Viele Grüße
        Kathrin

        *Im Rahmen des Studiums haben wir z.B. Interviews und Schriften von Terrorismusgruppen gelesen und untersucht. Das war extrem interessant und hat sehr dazu beigetragen, die Denkweise dieser Menschen nachzuvollziehen und zu verstehen, warum sich Menschen immer wieder diesen Gruppen anschließen. Und soll ich dir etwas sagen: Die Rhetorik, der sich diese Gruppen bedienen, weist gewaltige Parallelen zur Rhetorik der Nationalsozialisten in den ’30ern und ’40ern sowie zu AfD, Pegida & Co. auf.

        PS: Ein völlig anderer Sachverhalt sind natürlich Produkte/ Inhalte, bei denen Gewalt verherrlicht wird. Und zwar Gewalt in jeglicher Form, also einschließlich Kinderpornografie, Tierquälerei, Foltervideos etc. Dass diese Dinge in keinem Fall irgendwo eine Plattform bekommen sollten, darin sind wir uns, denke ich einig.

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