Rezension: „Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist“ (Stefan Bollmann)

Es gibt diejenigen, die aus der Schulzeit ein lebenslanges Goethe-Trauma mitgenommen haben. Und dann gibt es Menschen wie mich, die Goethe absolut faszinierend finden, immer wieder zu seinen Texten oder Sekundärliteratur greifen und im Sommerurlaub gerne mal nach Weimar pilgern. Ich kann gut verstehen, dass andere Menschen Goethe staubtrocken finden – allerdings haben diese Menschen vermutlich im Schulunterricht nicht die vielen Facetten dieses Dichters gezeigt bekommen.

Vielleicht sind genau diese Menschen mit „Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist“ besonders gut bedient. Für alle anderen ist es aber ebenfalls sehr geeignet.

image21(Links meine Schmuckausgabe von "Faust", rechts das Buch von Stefan Bollmann, Foto: Privat)

(Links meine Schmuckausgabe von „Faust“, rechts das Buch von Stefan Bollmann, Foto: Privat)

Inhalt:

Stefan Bollmann hat mit diesem Buch keine Biografie geschrieben – schließlich gibt es bereits genug Bücher, die Goethes Leben oder seine Werke en detaille auseinandernehmen. Vielmehr ist dieses Buch als eine Art Destillation der Lehren aus Goethes Leben zu verstehen. Quasi ein Crahskurs in Goethes Lebenserfahrung, gespickt mit vielerlei Anekdoten, die man – wenn man möchte – auf die eigene Karriere, das Privatleben oder verschiedene andere Situationen übertragen kann. Dabei bleiben biographische Erklärungen natürlich nicht aus (wer hat schon sämtliche Lebensdaten Goethes zu einhundert Prozent im Kopf?).

Mein Eindruck:

Gleich zu Beginn stellt Bollmann klar, dass dieses Buch keine Ansammlung der üblichen Lobeshymnen auf den großen Dichter sein soll – und er hält dieses Versprechen. Er zeigt wie facettenreich das Leben von Goethe war und auch, welche Details seines Lebens nicht unbedingt in den Klassenzimmern thematisiert werden. Dabei rutscht Bollmann tatsächlich nicht in die Lobhudeleien, die man häufig liest, wenn es um Goethe geht. Vielmehr betrachtet er manche Entscheidungen auch kritisch und zeigt auf, warum manch eine Entscheidung heutzutage vielleicht anders aussehen würde.

Der Goethe den Bollmann vorstellt ist übrigens ganz anders als der, den ich im Schulunterricht kennenlernte. Ich hatte das Glück, eine gute Deutschlehrerin zu haben, die uns neugierig auf diesen Dichter machte, der von vielen als der einflussreichste der vergangenen Jahrhunderte angesehen wird (und auch darüber kann man streiten). So fand ich Goehte schon immer cool und überhaupt nicht verstaubt. Noch eine Schippe drauf legt jedoch Bollmann. Er macht kein Hehl um die teilweise sehr ausschweifenden Momente im Leben des Dichters, die wohl in den meisten Schulstunden eher ausgespart werden.

Gerade die Ausschnitte von Goethes nicht vollendetem Stück Hanswursts Hochzeit“ haben mich sehr amüsiert. Wenn man uns damals im Deutschunterricht erzählt hätte, Goethe habe anfangs pornographisch angehauchte Theaterstücke geschrieben, wäre wohl so mancher Mitschüler schneller in eine Bibliothek marschiert, als die Lehrer hätten gucken können. Bollmann berichtet – nicht nur an dieser Stelle – auf herrlich launige Weise von Goethes Leben und vielleicht sollte man den Schülern heute besser Bollmanns Buch in die Hand drücken als irgendwelche Lektüreschlüssel. Diese überinterpretieren die Goetheschen Werke, während Bollmann Goethe als Mensch vorstellt, der ähnliche Ängste und Wünsche hegte wie wir. Dadurch lässt er den großen Dichter greifbar und sympathisch wirken.

Bollmann gibt aber auch viele Denkanregungen, damit man über die eigenen Wünsche in Bezug auf das Leben nachdenkt. Dabei spart er nie den Einfluss der Gesellschaft und der Umstände auf das eigene Leben aus. Er stellt stets einen Konflikt oder eine Herausforderung in Goethes Leben vor und schreibt, welche Möglichkeiten Goethe hatte und welche Gründe er gehabt haben mochte, um sich auf eine bestimmte Art und Weise zu entscheiden. Und genau an diesem Punkt lenkt er die Aufmerksamkeit des Lesers auf mögliche eigene Entscheidungen. Ganz ohne dass man es wirklich merkt, beginnt man über den eigenen Lebensweg nachzudenken und so hallt das Buch noch eine ganze Weile nach. Auch lohnt es sich, es immer wieder einmal in die Hand zu nehmen und hineinzulesen.

Kleinere Abzüge in der B-Note muss ich insofern vermerken, als dass sich ein paar Rechtschreibfehler durch das Lektorat gemogelt haben und Bollmann nicht nur einige Goethesche Werke spoilert (jaja, ok, der Mann ist seit bald 200 Jahren tot), sondern auch Werke anderer Autoren wie Haruki Murakami (der ist nicht tot und die Bücher wollte ich eigentlich ungespoilert lesen…).

Fazit:

Ist Goethe cool? Ja, aber das war schon vorher meine Meinung. Deshalb: Goethe ist noch cooler, als ich es eigentlich gedacht habe und Bollmann schreibt auf herrlich launige Weise über den großen Künstler ohne dabei respektlos zu werden. Wer Goethe mag, wird dieses Buch lieben. Und wer Goethe bisher für einen verstaubten ollen Schreiberling hielt, wird nach diesem Buch vielleicht kein Goethe-Jünger sein, ihn aber für weniger verstaubt halten.

4 von 5 Sterne.

Mehr zum Buch:*

  • Preis: 19,99€
  • Gebundene Ausgabe: 288 Seiten
  • Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt; Auflage: 2 (9. Mai 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3421046808
  • ISBN-13: 978-3421046802

 

16 Gedanken zu “Rezension: „Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist“ (Stefan Bollmann)

  1. Danke für den Beitrag. Ich finde auch daß sich Schüler und Erwachsenen mehr mit Goethe beschäftigen sollten.

    Nur den Ansatz finde ich falsch gewählt. Ich weiß, ich steh allein mit meiner Meinung und tut mir leid daß ich Dich hier zumülle, aber trotzdem: Ich finde es falsch sich so sehr anzubiedern daß man Goethe und Literatur überhaupt als cool verkaufen muß. Und was hat er nicht für ein abgefahrenes Leben, ach wie interessant. Denn darum geht es nicht. Überhaupt nicht. Die Lebensgeschichte ist wohl das Uninteressanteste an einem Autor.

    Aber heute eben leider nicht mehr. Trotzdem finde ich daß man sich nicht so weit anbiedern und in die Knie begeben sollte damit sich überhaupt jemand damit beschäftigt. Finde ich den falschen Ansatz.

    Thomas.

    • Das literarische Werk eines Autors lässt sich immer nur dann zutreffend würdigen und interpretieren, wenn man auch das Leben, die historischen, sozialen und persönlichen Einflüsse des Autors berücksichtigt. Insofern ist es sicher nicht „falsch“, die Lebensgeschichte eines der noch immer bedeutendsten deutschen Autors zu thematisieren.
      Das literarische Werk Goethes ist, zumindest in Grundzügen, wohl jedem bekannt. Insofern ist es durchaus legitim und vielleicht auch angebracht, das Leben dieses Mannes erneut in den Fokus zu rücken und zu erinnern.

      • Hallo und danke für die Antwort. Und da gebe ich Dir vollinhaltlich Recht. Daß man die historischen und gedanklichen Hintergründe der Zeit verstehen muß in der ein Kunstwerk entstanden ist. (nur daß ich persönlich weniger Wichtigkeit auf die einzelne Biographie lege).

        Und mir ging es nur um die Art und Weise wie sein Leben beschrieben wurde. Ich hatte das Gefühl daß sich der Autor viel zu sehr an den Zeitgeist anbiedert und an eine Leserschaft die zwar gerne Anekdoten liest, sich aber nicht weiter mit dem Werk Goethes beschäftigen wird. Und dazu ist mir die Literatur und besonders dieser Dichter zu wichtig.

        Thomas.

    • Hallo Thomas,

      wenn ich ehrlich bin, verstehe ich Deinen Kommentar nicht so ganz. Ich weiß nicht, inwieweit ich mich anbiedere – und an wen – wenn ich mich für das Leben eines Autors interessiere.

      Das Leben – zeitgeschichtliche wie persönliche Umstände – formen einen Menschen und beeinflussen demzufolge auch dessen Werk. Da Goethe nicht nur Dichter, sondern auch Forscher war, ist sein Leben gleich doppelt interessant. Zumal es sich bei diesem Buch ja explizit um den Versuch handelt, die Entscheidungen Goethes zu analysieren und daraus Ideen und Ratschläge für unsere heutige Zeit zu konzipieren.

      In meinen Augen hat das nichts mit „anbiedern“ zu tun, zumal ich ja auch nichts davon hätte. Goethe ist schließlich tot. Dass ich Goethes Werke im Speziellen und Literatur im Allgemeinen „cool“ finde, hat übrigens auch nichts mit anbiedern zu tun. Aber vielleicht habe ich Dich auch einfach missverstanden.

      Klär mich doch einfach auf 🙂

      Viele Grüße
      Sarah

      • Hallo Sarah.

        Tut mir leid, daß habe ich undeutlich geschrieben. Und deshalb ist das Mißverständnis durch mich entstanden. Ich meinte damit natürlich nicht Dich oder Deine Besprechung sondern den Ansatz des Autors.

        Ich weiß nicht mehr genau was mich heute morgen genau gestört hat, aber ich glaube Sätze wie „… gespikt mit vielerlei Anekdoten die man, … auf die eigene Karriere …“ oder „Er macht kein Hehl um die teilweise sehr ausschweifenden Momente im Leben des Dichters…“.

        Schon Hesse hat diese Art zu schreiben und zu denken im Glasperlenspiel angesprochen. Dieses oberflächliche Gucken auf Anekdoten und ausschweifende erzählen vom Leben der Autoren in einer leichten / seichten Form.

        Ich kenne das Buch ja leider nicht, deshalb kann ich mich nur auf die paar Ausschnitte beziehen.

        Und was ich mit dem anbiedern meinte (damit meinte ich wieder nicht Dich): Literatur, klassische Musik, Geschichte usw. Ich habe das Gefühl, nein, ich bemerke daß das Niveau im Großen und Ganzen immer weiter sinkt. Und zwar von beiden Seiten, von den Künstlern (natürlich gibt es zahlreiche Ausnahmen, aber ich spreche von einer Tendenz) und von den Zuhörern / Lesern. Und ich merke daß die Kulturindustrie den Weg eingeschlagen hat sich anzubiedern, das Niveau noch mehr zu senken, es den Zuhörern und Lesern leichter zu machen. Auch über den Weg von Anekdoten, Crossovermusik, und so weiter.

        Liebe Grüße,
        Thomas.

      • Herr Stiegler, Sie schreiben: „Und was ich mit dem anbiedern meinte (damit meinte ich wieder nicht Dich): Literatur, klassische Musik, Geschichte usw. Ich habe das Gefühl, nein, ich bemerke daß das Niveau im Großen und Ganzen immer weiter sinkt.“

        Hierzu nur eine kleine Anmerkung:
        Literatur war und ist, wie jede Kulturrichtung, kommerzialisiert und produziert wird, was verspricht, von einem möglichst großen Publikum konsumiert zu werden. Es gibt zwar ein paar Ausnahmen, bei denen es dem Autor unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg darum ging, eine Botschaft zu vermitteln, aber, wie gesagt, dies sind Ausnahmen…
        Aus Goethes Zeit sind heute nur noch diejenigen Werke erhalten, die über die zwischenzeitlich vergangenen Generationen immer wieder das Potenzial bewiesen, Leser zu finden. Der überwiegende Teil der literarischen Erzeugnisse dieser Zeit wird längst in Vergessenheit geraten sein – wie auch vieles der heutigen „Unterhaltungsliteratur“ in einigen Jahrzehnten verschwunden sein wird.
        Insofern ist das Attest, dass das Niveau sinken würde, eventuell nur ein Trugschluss, da wir dazu tendieren, heutige Literatur an den wenigen Perlen, die uns durch die vergangenen Generationen prägten zu messen.

  2. Liebe Sarah,
    du weißt ja, dass das Buch eh schon auf meiner Wunschliste stand (da reichte ja schon der Titel allein), aber jetzt habe ich’s noch extra farblich markiert. Es klingt wirklich ganz nach meinem Geschmack und gerade für amüsante Anekdoten bin ich sowieso immer zu haben! Finde es auch toll, dass das Buch sogar nachwirkt – das wäre dann das ultimative Sahnehäubchen für mich.
    Ich freue mich jetzt wirklich darauf, das Buch irgendwann (hoffentlich bald!) zu lesen! Ich werde dir dann natürlich berichten, wie es mir gefallen hat. 🙂
    Viele liebe Grüße,
    Elena

    • Liebe Elena,

      hihi, diese Wirkung meiner Rezension war mir fast klar. Es freut mich, dass sie Dich vom Buch überzeugen konnte – hoffentlich gefällt es Dir genauso wie mir.
      Ich bin gespannt auf Deinen Bericht!

      Liebe Grüße
      Sarah

  3. Pingback: Rezension: „Faust“ (Flix) | Studierenichtdeinleben

  4. Hallo 🙂
    ich muss sagen, dass du mich echt neugierig gemacht hast. Ich bin ebenfalls ein absoluter Goethe Fan und freue mich auch immer wieder unglaublich auf Flohmärkten alte Bücher von ihm oder über ihn erstehen zu können.
    Danke für deine Empfehlung – Ich hoffe, dass ich das Buch bald selbt in der Hand halten werde!
    Liebe Grüße
    Bianca

  5. Eigentlich wollte ich nur linsen kommen, um eventuell deinen Goethe-Schiller-Hocker zu sehen, nachdem ich dein Kommi bei Eva aka Schreibtrieb, gelesen habe. Tja, wie es meine Neugierde so will, bin ich bei Dir und Deinem Blog picken geblieben *g*.
    Ich bin auch ein absoluter Goethe-Groupie und bedanke mich im Namen aller Gleichgesinnten für die tolle und auch witzige Rezension. Dieses Buch kommt natürlich sofort und auf der Stelle auf meine WL.
    So, und nun werde ich wohl weiterstöbern..vielleicht finde ich den Hocker ja doch noch *g*
    Liebe Grüße aus Wien
    Conny

    • Liebe Conny,

      hihi, da ist meine Goethe-Schiller-Falle also genau richtig zugeschnappt 😉 Sehr gut ^^ Und es freut mich natürlich, dass meine Rezension Dir gefallen hat. Das Buch ist immer noch eines meiner Jahreshighlights!
      Als Tipp für ein Foto vom Hocker: Stöber mal ein wenig weiter unten auf meinem Instagram Account. ein wenig vor den letzten Bildern vom Meeresurlaub findest Du ihn, mit Faust und den Räubern, die ich draufgelegt habe.

      Ich wünsche Dir aber auch hier natürlich viel Stöberfreude – gerade im Themenhafen 😉

      Liebe Grüße aus Dresden,
      Sarah

      • Hihi, Du bist ein Schatz. Ich hänge gerade bei deinem Lesegeplauder fest und wenn ich jetzt noch mehr Deiner Beiträge like, sieht es auf meinem Blog aus, als würde ich Dich stalken *lach*
        Liebe Grüße in die Erich Kästner-Gegend *g*

        • Du darfst gerne stalken 😉 und sehr gerne doch, ich sorge immer gern dafür, dass andere von meinen Social Media Kanälen süchtig werden (Scherz! 😉 ).
          Hab ein schönes Adventswochenende!

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