Es gibt Autoren, deren Werke ich unheimlich gerne lese – und die ich doch nie persönlich treffen möchte. „Don’t meet your heroes“, also „Triff nie deine Idole“, heißt es ja so schön und dahinter steht die Befürchtung, besagtes Idol könne nicht den hohen (überhöhten) Erwartungen standhalten und man wäre unweigerlich enttäuscht von so einem Zusammentreffen. Dass es auch anders geht, beweist Benedict Wells.
Am 19.10. las er im Thalia Haus des Buches aus „Vom Ende der Einsamkeit“ in Dresden und ich traf zum zweiten Mal auf ihn – zuvor durfte ich ja schon bei einer Autogrammstunde auf der Leipziger Buchmesse diesen Jahres ein paar Worte mit ihm wechseln. Wie auch in Leipzig war er äußerst sympathisch und nahm sich für jeden Leser in Ruhe Zeit. Enttäuscht ging an diesem Abend wohl niemand nach Hause.
Aber von vorn:
Wie das nunmal bei Lesungen so ist, die ich besuche, habe ich im Vorfeld Gott und die Welt (also meine Twitter-Timeline) darüber informiert, dass ich auf die Lesung hinfiebere. Und wie Twitter nunmal so ist, habe ich dadurch auch gleich zwei liebe Bloggerinnen aus Dresden kennengelernt, mit denen die Wartezeit wie im Flug verging. Auf Twitter findet Ihr sie unter Ipeluche und Frau Jonas. Unter dem Hashtag #Wellsliest habe ich andere Leser, die nicht dabei sein konnten, hoffentlich halbwegs auf dem Laufenden halten können. (Eine Zusammenfassung könnt Ihr Euch hier als PDF ansehen, da mein WordPress Storify nicht so mag…)
Es ist für mich immer ganz besonders, wenn Autoren aus ihren eigenen Werken vorlesen. Dann erschließen sich mir Dinge im Buch, die ich auch beim mehrmaligen Lesen nicht entdeckt habe. Es sind oft nur Nuancen, die dafür aber umso größere Wirkung entfalten. Ich bin zudem jemand, der sehr auf Stimmen fixiert ist. Das erste, das ich an anderen Menschen bewusst wahrnehme, sind nicht die typischen Äußerlichkeiten, sondern die Stimme des Gegenübers. Benedict Wells hat eine für meine Ohren sehr angenehme Stimme und er weiß definitiv wie er sein Publikum damit in seinen Bann zieht.
Wenn Du mal der Beobachter bist, ist der Weg zum Schreiben nicht mehr weit.
Benedict Wells
Für mich war es die erste unmoderierte Lesung, d.h. es gab keinen Moderator, der Benedict zwischen den gelesenen Buchabschnitten interviewt hat. Diesen Part übernahm er zum Teil selbst, indem er vom Schreibprozess, den Figuren und auch herausgestrichenen Szenen erzählte. Das Publikum übernahm den anderen Part und stellte interessante Fragen zu „Vom Ende der Einsamkeit“ aber auch zu seinen anderen Büchern.
Der Zauber der gelesenen Worte
Was mich beeindruckt hat, war die Auswahl der Lesestellen. Benedict las genau jene Stellen vor, die einen guten Einblick in die Figurenwelt gaben – verriet aber gleichzeitig auch nie zu viel von der Handlung. Im Gegenteil: Er hat sogar eine Frage aus dem Publikum abgebremst, da diese einen massiven Spoiler enthalten hätte.
Es gibt eh nur zwei Frauen für Jules. Alva und alle anderen.
Benedict Wells
Am meisten erstaunt hat mich bei der Lesung, wie sehr die Atmosphäre im Raum der Stimmung des Buches ähnelte: Es gab diese stillen Momente, in denen das Publikum zwar gemeinsam im Raum saß, aber jeder seinen eigenen Emotionen nachspürte, welche die jeweilige gelesene Szene auslöste. Und dann gab es diese heiteren Momente, in denen Schwermut und Einsamkeit verschwanden und ein gemeinsames Lachen über Benedicts Gesangskünste* Scherze zu einer Art stillen Verbundenheit zu führen schienen. Ich glaube, das ist das Besondere an guten Lesungen: Die Zuhörer werden durch die gelesenen Worte für einen Moment aus dem Alltag entführt – und zwar auf eine Art und Weise, die vielleicht noch nicht einmal beim stillen Lesen möglich ist.
*Ja, er hat bei der Szene, in der Jules Mutter „Moon River“ singt, tatsächlich die ersten Liedteile angestimmt – dann aber schnell lachend hinterher geschoben, dass man sich das jetzt bitte gut gesungen vorstellen möge.
Fragestunde
Bei den Lesungen, bei denen ich bisher war, ging es meist um genau das Buch, aus welchem gelesen wurde. An diesem Abend kamen aber auch die anderen Bücher von Benedict zur Sprache und so erfuhren wir, dass der Spinner aus „Spinner“ ihm eine Zeit lang wohl sehr ähnlich gewesen ist und seine Lieblingsfigur Rauli Kantas aus „Becks letzter Sommer“ ist. Sein Deutschlehrer hätte in diesem Buch übrigens die Figur des Charlie gekürzt – ich bin sehr froh, dass er sich da gegen seinen Mentor und Testleser durchgesetzt hat.
Meine Frage drehte sich jedoch um das „Hauptthema“ des Abends und zielte auf all die wunderbaren Sätze in „Vom Ende der Einsamkeit“ ab. Ich habe gefühlte hundert Fähnchen an meine liebsten Textstellen geklebt und wollte wissen, ob es nicht schwer gewesen sei, trotz – oder gerade wegen – der Schönheit der Sprache nicht in Richtung Kitsch abzurutschen. Er erzählte daraufhin, dass er viele schöne Sätze gekürzt habe, auch wenn es nicht leicht gewesen sei. In der Bloggerecke des Publikums waren wir uns übrigens einig, dass die 800 Seiten Version des Buches allein schon wegen dieser Sätze unbedingt veröffentlicht gehört. Und auch wenn diese Extended Edition wohl reichlich unwahrscheinlich ist, hoffen wir dennoch darauf, dass Benedict sein Vorhaben, eine Szene über Jules Vater in einer Diogenes Anthologie zu veröffentlichen, irgendwann wahr machen kann. Zunächst jedoch arbeitet er an einem Jugendbuch und ich bin schon sehr gespannt auf diese ganz andere Tonart, die er darin anschlagen wird.
Schlange stehen für (mehr als nur) ein Autogramm
Von Leipzig wusste ich ja schon, dass Benedict Wells nicht zu den Autoren zählt, die einfach nur ihren Namen in das ihnen vorgelegte Buch kritzeln, eventuell begleitet von einem „Für [Name einsetzen]“. Das was er in die Bücher hinein schreibt, sollte eigentlich gesammelt und ebenfalls als Buch veröffentlicht werden, denn es sind Briefe an seine Leser. Er nimmt sich Zeit, mit jedem einzelnen Leser ein paar Worte zu wechseln, weitere Fragen zu beantworten und dieses Gespräch in Form eines kleinen Briefes im Buch festzuhalten.
Diese ganz besonderen Widmungen sind für mich etwas sehr privates, weshalb ich Euch kein Foto davon zeigen möchte.
Während unseres Gespräches, als er meinem Buch (dem neuaufgelegten „Spinner“) einen seiner „Leserbriefe“ hinzufügte, kam unser Gespräch auch auf Blogger, denn er hatte erwähnt, dass er durchaus den Kritiken über seine Werke folgt. Er erzählte, dass er Kritiken von Bloggern lieber liest – egal ob sie ihn loben oder verreißen – da sie komplett ehrlich seien. Ich finde, ein besseres Kompliment – und einen besseren Anspruch für unsere Blogarbeit – können wir uns nicht wünschen.
Als Benedict dann fragte, ob ich auch blogge, und ich das bejahte, dachte ich noch, dass mein Blog zum Glück sehr klein und damit auch nicht allzu leicht zu finden ist. Dann fragte er jedoch nach dem Namen und mir dämmerte, dass meine URL zwar sehr sperrig (was habe ich mir dabei eigentlich gedacht?) ist, aber einen gewissen Wiedererkennungswert besitzt – und tatsächlich: Kaum, dass ich den Blognamen genannt hatte, rief er so spontan und überzeugend aus, dass er ihn kennen würde, dass ich beinahe hintenüber gekippt wäre. Liebe Susanne Bühler, die Du die Rezensionen scheinbar direkt an die Autoren weiterleitest: Vielen Dank für den beinahe Herzkasper 😉 Ich kann es auch jetzt – fast einen Monat später – kaum fassen…
Alles in allem war dieser Abend einfach nur perfekt und wenn ein Autor nicht nur Schreib- sondern auch Redetalent hat, dann ist es egal, ob ein Moderator mit auf dem Podium sitzt oder nicht. Benedict Wells weiß seine Zuhörer völlig aus dem Alltag herauszuholen – ob nun mit dem geschriebenen oder dem gesprochenen Wort.
Mehr zu seinen Büchern erfahrt Ihr auf der Webseite des Diogenes Verlags* und beim Buchhändler Eures Vertrauens.
P.S.: Falls auch dieser Beitrag weitergeleitet wird: Ich freue mich schon auf das versprochene Interview, wenn das nächste Buch – der nächste Roman – erscheint! Danke für eine tolle Lesung!
*FAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAANGIIIIIIIIIIIIIRLING*
Sorry, aber mehr kann man bei diesem Beitrag nicht machen. 😀
Was für ein unglaublich toller Bericht von der Lesung, vielen Dank dafür! Da kommen doch glatt wieder Erinnerungen an „meine“ Lesung im September hoch. 🙂
Deine Beschreibung von den stillen und heiteren Momenten des Abends hat mir besonders gut gefallen und ich stimme dir da auch voll und ganz zu: Das ist mir auf der Lesung damals auch positiv aufgefallen und hat mich wirklich beeindruckt!
Bei uns gab es da ja statt Fragerunden Livemusik zwischen den Leseparts, deswegen hatte ich dann nur kurz beim Signieren die Gelegenheit, die ein oder andere Frage loszuwerden. Umso interessanter waren für mich natürlich deine Schilderungen der „Fragestunde“ – danke für die Infos! Von der geplanten Szene für die Diogenes-Anthologie wusste ich noch nichts, das wäre ja wirklich sehr schön. Ich wäre übrigens auch für die 800-Seiten-Version von „Vom Ende der Einsamkeit“ – obwohl ich mich sogar fast noch mehr über die Urfassung von „Becks letzter Sommer“ freuen würde, wenn ich ehrlich bin. 🙂
Freut mich jedenfalls sehr für dich, dass dein Blog Herrn Wells ein Begriff ist – wohlverdient! Ich drücke dir die Daumen für das Interview und bin schon gespannt darauf!
Wow. Vielen, vielen Dank für die lieben Worte! Ich werde hier glatt wieder so rot, wie in dem Moment, als Benedict meinen Blognamen wiedererkannt hat 😉
Mit Livemusik kann ich mir die Lesung auch sehr gut vorstellen – ich plädiere stark dafür, dass er nochmal wiederkommt und dann einen Musiker dabei hat.
Und ja – einfach alle Urfassungen veröffentlichen. Ich glaube, dann lese ich kaum mehr was anderes, hihi. Die Anthologie ist aber nicht direkt geplant – das kam etwas falsch rüber. Er sagte nur, dass er die Szene eventuell mal in eine Anthologie einbauen möchte. Hoffnung bleibt also 🙂
Ganz liebe Grüße,
Sarah
Liebe Sarah,
ich wusste damals vor der Lesung gar nicht, dass es zusätzlich Musik geben wird und war sehr überrascht. Aber es war wirklich richtig toll und hat so schön zusammengepasst! Ich fand es schon sehr bewegend, obwohl ich davod weder „Vom Ende der Einsamkeit“ gelesen noch in den Soundtrack reingehört hatte und frage mich, wie es auf mich gewirkt hätte, wenn es anders gewesen wäre. Ich denke, du kennst Benedicts Soundtrack zum Buch höchstwahrscheinlich schon, aber falls nicht, kann ich ihn dir wirklich empfehlen! 🙂
Haha, so ginge es mir wahrscheinlich auch. 😉 Und dass es mit der Anthologie noch eine Weile dauern könnte, davon bin ich eigentlich sogar ausgegangen. Ist ja auch nicht weiter schlimm und Hoffnung ist immer gut – ich werde nämlich auch weiterhin auf ein Wiedersehen mit Beck und Rauli hoffen. 🙂
Ganz liebe Grüße,
Elena
Liebe Elena,
vom Soundtrack wusste ich schon, habe aber noch nicht reingehört. Aber wenn Du sagst, dass sich das lohnt, dann muss ich das bald mal nachholen! Danke für den Tipp!
Liebe Grüße und einen schönen Sonntagabend,
Sarah
Pingback: Bericht: Lesung von Benedict Wells am 22. September 2016 in Ravensburg • Emerald Notes
Huhu 🙂
…das klingt wirklich nach einer ganz besonderen Lesung. Auch bewundernswert welche Zeit sich Wells nimmt. Eine liebe Freundin war auch schon bei einer Lesung und ich durfte die Signierung – in Form eines Briefes – begutachten und kann die Schwärmerei verstehen. Vom Ende der Einsamkeit war für mich in diesem Jahr das erste Buch vom Wells und gleichzeitig ein Jahreshighlight. Zwei weitere Werke des Autors sind vor kurzem eingezogen (Becks letzter Sommer, Spinner) und werde sie ganz bald verschlingen.
Liebste Grüße an Dich ♥
Huhu 🙂
vielen lieben Dank auch an Dich für diesen tollen Kommentar! Schön, dass Dir „Vom Ende der Einsamkeit“ auch so gut gefallen hat. Ich nehme es hier immer wieder zur Hand und lese die ein oder andere Szene und kann kaum glauben, dass es erst seit Februar (als Leseexemplar) in meinem Regal steht.
Ich wünsche Dir viel Vergnügen und schöne Lesestunden mit seinen anderen Büchern!
Liebe Grüße zurück 🙂
Hallo!
Ein sehr schöner Bericht! Wirklich toll, dass er sich auch nachher noch viel Zeit zum Signieren genommen hat. Bei mir zieht „Vom Ende der Einsamkeit“ in den nächsten Tagen ein und ich freue mich schon sehr auf das Buch. Vielen Dank für deinen Einblick. 🙂
Liebe Grüße
Nicole
Liebe Nicole,
besser spät als nie: Vielen Dank für Deinen Kommentar! Ich wünsche Dir sehr angenehme Lesestunden und dass Du genauso angetan sein wirst wie so viele auch 🙂
Liebe Grüße
Sarah
An „Vom Ende der Einsamkeit“ habe ich mich bisher noch nicht herangetraut. Die vielen begeisterten Stimmen schrecken mich davon ab, es von meinem SuB zu befreien. Dein Beitrag hat mir jetzt aber richtig Lust darauf gemacht. Nun wird es als nächstes gelesen. 🙂
Liebe Auroria,
ja, das habe ich schon öfter gehört, dass die vielen positiven Stimmen ein wenig „einschüchternd“ wirken können. Aber schön, dass mein Lesungsbericht Dich subtil an den SuB ranschiebt 😉
Viele schöne Lesestunden wünsche ich!
Liebe Grüße
Sarah
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