Rezension: „Anatomie der Wolken“ (Lea Singer)

Im ersten Teil meines Buchmesse-Berichts hatte ich Euch schon erzählt, dass ich dieses tolle Buch von Karla geschenkt bekam. An dieser Stelle noch einmal Danke, liebe Karla!

Kaum war der Messeblues überstanden, habe ich mich auch schon in „Anatomie der Wolken“ von Lea Singer vertieft. Gestern war es dann leider schon ausgelesen und deshalb muss ich Euch jetzt unbedingt davon erzählen!

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Das Cover ist übrigens tatsächlich ein Bildausschnitt aus einem von Friedrichs Gemälden (Foto: Privat)

Inhalt:

Johann Wolfgang von Goethe kennt jeder, nirgendwo kann das Universalgenie – mittlerweile ist er über 60 Jahre alt – hingehen, ohne erkannt zu werden. Ganz anders ist das bei Caspar David Friedrich. Während Goethe in Weimar, Jena, Karlsbad und auch eigentlich überall sonst hofiert wird, wie es nunmal einem Genie wie ihm gebührt, kann der vierzigjährige Maler unerkannt durch die Gassen seiner Heimat Dresden laufen.

Es ist ein einziger Gegensatz: Goethe schwimmt im Reichtum – Friedrich weiß kaum, wie er die Miete oder sein Abendbrot bezahlen soll. Goethe ist berühmt, hochangesehen und sein Wort hat Gewicht (wie auch der Dichter mittlerweile selbst) – Friedrichs Werke werden von Kritikern (allen voran Goethe) verrissen und mir Worten kann der Maler beim besten Willen nicht umgehen.

Mit beiden Männern bekannt ist die Malerin Louise Seidler, die in Dresden zur Malerin ausgebildet wird und Friedrich zu mögen scheint und deren Arbeit von Goethe gemocht wird – sie darf ihn sogar porträtieren. Doch Goethe mag die Ansichten der Romantiker nicht, er ist sturer Verfechter der Klassik und Friedrich kann Goethes Ansichten nicht ausstehen. Louise Seidler sitzt zwischen den Stühlen.

Mein Eindruck:

Wenn man Weimar besucht, lernt man eine ganz eigenartige Stimmung in der Stadt kennen. Zumindest geht es mir bei Besuchen dort immer so: Man erkennt an jeder Straßenecke, dass in dieser Stadt große Denker gelebt haben und irgendwie steht die Zeit still, auch wenn das moderne Leben vieles verändert hat. Diese historische Stimmung hat Lea Singer ganz wunderbar in ihrem Roman eingefangen. In jeder ihrer Beschreibungen lässt sie längst vergangene Zeiten aufleben.

Faszinierend an der Erzählweise war für mich besonders das Spiel mit der Sprache. Durch fehlende direkte Rede war an mancher Stelle zunächst unklar, ob der Satz gedacht oder gesprochen wurde. Ob laut ausgesprochen oder nur leise gedacht oder von der jeweiligen Figur nur zitiert, wurde mit ein wenig Verzögerung erst deutlich.

Ein radikaler Bruch mit den Gesetzen der Zentralperspektive, sagte Goethe. Und diese Sonnenstrahlenbahnen: ein Verstoß gegen alle Regeln der Optik!
Auch Pauline sah ihn an mit diesem Erwartungsblick.
… schrieb Ramdohr, sagte Goethe und aß weiter.

(S. 15)

Gerade diese Sätze mit wie beiläufig nachgeschobenen Informationen haben mich beim Lesen begeistert. Zudem ist Singers Art und Weise zu beschreiben wunderbar klar, beinahe ein wenig kühl – oft überlässt sie es den Gedanken der Figuren die Welt um sich herum zu beschreiben, weshalb man im Laufe der Geschichte mit zwei Weltbildern konfrontiert wird: Das von Universalgenie Goethe und das vom vermeintlichen Versager Friedrich.

Die beiden Männer – die der Nachwelt als große Meister ihres Fachs bekannt sind – wirken wie zwei Seiten einer Münze: Das Verbindende Element sind die Wolken. Goethe sieht die Wolken als eine Möglichkeit noch einmal seinen brillianten Verstand zu beweisen und seinen Verehrern zu zeigen, dass der berühmte Goethe auch im Alter noch Großes zu schaffen vermag. Für Friedrich dagegen sind Wolken etwas beinahe mystisches, etwas, das keiner Erklärung bedarf. Er beobachtet sie, er malt sie – sämtliche Bestrebungen, sie zu klassifizieren, sind ihm jedoch fremd.

Singer arbeitet diese Unterschiede zwischen beiden Persönlichkeiten auf jeder Seite sowohl an großen Gedanken als auch an kleinen Vorlieben der Männer heraus. Goethe studiert die Zeitungen, Friedrich nutzt sie, um seine Schuhe darin einzuwickeln.

Tja, aber das Romantische ist nun mal das Kranke, sagte Goethe. Das Klassische das Gesunde.

(S.148)

Obwohl Goethe seine Ansichten so drastisch auf den Punkt bringt, bleibt durch dieses wechselseitige Erleben der Situationen, in denen sich Goethe und Friedrich befinden, immer die Frage offen, ob Goethe mit seiner Einschätzung richtig liegt. Und ob überhaupt eine Denkweise – die romantische oder die klassische – die „richtige“ Denkweise sein muss bzw. kann. Und wer von beiden – Goethe oder Friedrich – wirklich an Krankheit leidet oder gesund ist.

Fazit:

Nicht nur die wunderbare Sprache dieses Buches hat mich von der ersten bis zur letzten Seite fasziniert. Auch der Konflikt zwischen Goethe und Friedrich  – und Louise Seidler, die es irgendwie allen recht machen möchte – war interessant zu lesen.

Angereichert mit wahren Begebenheiten hat Lea Singer in „Anatomie der Wolken“ eine Geschichte gesponnen, über die ich wohl noch einige Zeit nachdenken werde. Ganz besonders hat es mich beeindruckt, einmal nicht Goethe als den unerreichbaren Dichtergott präsentiert zu bekommen, sondern als Menschen, der nicht immer nett ist, der Fehler und Kanten hat und der manchmal so gar nicht dem Bild des edlen Geheimrats entspricht, das uns so häufig präsentiert wird.

5 von 5 Sternen.

Weiteres zum Buch:

  • Preis: 20,00 €
  • Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
  • Verlag: HOFFMANN UND CAMPE VERLAG GmbH (14. Februar 2015)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3455405193
  • ISBN-13: 978-3455405194

In der Reading Challenge 2015 zählt dieses Buch als A book published this year.

12 Gedanken zu “Rezension: „Anatomie der Wolken“ (Lea Singer)

  1. Hallöchen 🙂
    mir gefällt deine Rezension, obwohl ich anmerken muss, dass das Buch wohl nichts für mich wäre auch wenn ich von dem Cover ganz angetan bin und auch Goethe sonst sehr mag.
    Ich glaube, wie du schon geschrieben hast, dass ich mich vor dem Goethe fürchte, das in dem Buch gezeichnet wird. Dass mein Goethe-Bild sich verändert und ich dann nie wieder ein Werk von ihm in die Hand nehmen kann.
    Liebe Grüße
    Jule <3

    • Moin Jule 🙂

      freut mich, dass Dir die Rezension gefällt. Dass Dich das vom Buch abbringt ist zwar schade, aber noch schlimmer wäre es, wenn Du Goethe nicht mehr mögen würdest, also ist es vielleicht so besser. Es „menschelte“ halt beim Buch-Goethe.

      Demnächst kommt dann eine ganz andere Goethe-Rezension, sei gespannt 😉

      Liebe Grüße
      Sarah

      PS: So ein Herzerl bekomm I net hin. (Und Bairisch auch nicht, Schande über mich…)

  2. Ich danke dir für die schöne Besprechung – auch ich habe mir das Buch von der Messe mit nach Hause genommen und freue mich schon sehr auf die Lektüre. Ich habe bisher noch nichts von Lea Singer gelesen, finde aber, dass die Idee zu diesem Buch unheimlich spannend ist. Ich werde auf jeden Fall berichten, wie es mir gefallen hat!

    • Hallo Mara,

      danke für Deinen lieben Kommentar. Auf das Buch kannst Du Dich wirklich sehr freuen. Ich bin noch immer ganz hingerissen was diese tolle Sprache anbelangt. Das hat die Rezension auch schwierig gemacht, weil ich diese ganz eigene Erzählweise irgendwie schwer beschreiben kann.

      Von Lea Singer kenne ich jetzt auch nur dieses Buch, aber es hat mir auf jeden Fall Lust auf mehr gemacht. Wenn der SuB mal kleiner ist, spätestens aber zu Weihnachten möchte ich dann gerne mal ein weiteres ihrer Bücher lesen. Solltest Du vor mir weitere Ausflüge in die Richtung starten, bin ich gespannt, was Du zu berichten hast. Ebenso freue ich mich auf einen Bericht zu „Anatomie der Wolken“.

      Ganz liebe Grüße
      Sarah

  3. Pingback: Sparstrumpfchallenge #4 – und diesmal bin ich auch dabei | Studierenichtdeinleben

  4. Nach deinem Hinweis auf Facebook habe ich jetzt gleich mal den Beitrag gelesen. Irgendwie ging das Buch bisher an mir vorüber. Leider! Denn das Buch klingt wirklich gut und die Thematik reizt mich,obwohl ich kein Goethe-Fan bin (wie du ja schon weißt ;), nach unserem kleinen Gespräch neulich auf deinem Blog sind inzwischen übrigens Schillers „Kabale und Liebe“ und „Maria Stuart“ bei mir eingezogen). Die Idee, die Leben zweier historische Größen in Verbindung zu bringen bzw. parallel zu erzählen, fand ich schon bei „Die Vermessung der Welt“ ganz großartig, weil es einen ganz anderen Blick auf die Personen wirft, als wie wir sie einst im trockenen Schulunterricht kennenlernten.

    • Hach schön, dass ich Dich auf das Buch neugierig machen konnte – da freue ich mich immer wie ein Schneekönig, wenn mir das gelingt. Nicht nur bei Dir, versteht sich 😉 Ich finde gerade das am Bloggen so schön, dieses empfehlen können. Solltest Du es Dir kaufen, wünsche ich a) ganz viel Spaß und hoffe b) auf eine Rückmeldung 😉 Goethe muss man für das Buch übrigens auch nicht unbedingt mögen. Hilft eher, wenn man ihn nicht so gut abkann, glaube ich. Dann ist da weniger Ehrfurcht vorhanden und man wird nicht von der etwas unromantischen Darstellung seiner Persönlichkeit abgeschreckt.

      „Die Vermessung der Welt“ fand ich auch ganz bezaubernd. Das war eines der Bücher, die ich mir damals beim Besuch im Rowohlt-Verlag aussuchen durfte. Gott, das ist auch schon wieder vier Jahre her…

      Und juhuu, Du hast die Schiller-Werke 😀 Gefunden oder gekauft? 😉

      • Ja, Empfehlungen via Blog sind toll – aber auch gemein 😀 Seitdem ich blogge / Blogs folge, entdecke ich ständig interessante Bücher, greife auch mal zu Titeln, die ich ansonsten im Buchhandel vielleicht keines Blickes gewürdigt hätte und Wunschliste und SUB wachsen exponentiell.

        Oh, du durfest tatsächlich schon die heiligen Hallen des Rowohlt-Verlags besuchen? Vermutlicht im Rahmen des Studiums?!

        Das alte Familien-Exemplar von „Kabale und Liebe“ ist leider trotz wochenlanger Suche meiner Mutter nicht mehr aufgetaucht. Vielleicht ist irgendwann einmal bei Renovierungsarbeiten aus Versehen im Altpapiert gelandet oder es lungert doch noch in irgendeiner Ecke, in der wir es gar nicht vermuten… Meine Mutti hat mein Buchwunsch aber so beschäftigt, dass sie einfach spontan eine gebrauchte Reclam-Ausgabe kaufte und – weil es so günstig war – „Maria Stuart“ gleich noch dazu. Mal schauen, wann ich zum Lesen komme. Momentan brauch ich durch Zeitmangel für jedes Buch dreimal so lang. Lediglich die Hörbücher kommen bei mir gerade eifrig zum Einsatz.

        • Huhu 🙂

          Ich habe mittlerweile ja schon eine Empfehlungsliste, eine Wunschliste und halt den SuB… also … das RuB (Regalbrett ungelesener Bücher 😉 ).

          Den Rowohlt-Verlag durfte ich besuchen, weil ich das gewonnen habe 😉 Als der Verlag seine Facebook-Fanpage begann, gab es ein Gewinnspiel und als Gewinn lockte der Verlagsbesuch. Ich weiß sogar noch das Lösungswort: Lesebändchen. Ich war superhappy, dass es mich tatsächlich getroffen hat und der Kurztrip nach Hamburg mit einer sehr guten Freundin war einfach nur genial! Das Lager mit all den schönen Büchern hätte ich ja mal eben gerne komplett mitgenommen… 😉

          Ach Deine Mutter ist ja süß! Schön, dass Du so doch noch an die Geschichten gekommen bist! Und irgendwann findet sich die Familienausgabe wieder an – das kennt man ja 😉

          Ich hoffe, Du hast bald mehr Zeit zum Lesen und genießt das Wochenende!

          Liebe Grüße
          Sarah

  5. Pingback: Der etwas andere Monatsrückblick – März 2015 | Studierenichtdeinleben

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