Gestern war ich mit meiner Schwester und deren Kollegin bei einer Lesung von Ken Folletts „Fall of Giants“ /“Sturz der Titanen“ im Thalia Haus des Buches in Dresden. Wie man sieht, war sie gut besucht:
Ken Follett war schon zwei Mal in Dresden, einmal 2002 kurz nach der Jahrhundertflut und einmal 2008 – und beide Male habe ich es verpasst ihn live sehen zu können. Diesmal war das zum Glück anders 🙂 Er hat sich übrigens sehr gefreut, dass unsere Stadt nach der Flut wieder so wunderschön geworden ist – Recht hat er! Und er ist begeistert, überall die Plakate, die „Die Säulen der Erde“ als TV-Vierteiler ankündigen, zu sehen. Auch wenn er immer ein wenig skeptisch ist, Filmmachern seine Werke zu überlassen, ist er von der Miniserie begeistert, weil die Filmleute sich anscheinend der Thematik gut angenommen haben. Begeistert ist er von den Schauspielern (er hat auch die deutschen Schauspieler hervorgehoben), die das von ihm authorisierte Script wohl wunderbar umgesetzt haben. – Also noch ein Termin mehr im Kalender: Montag, 20.15 Uhr, Sat.1, da läuft der erste Teil, die anderen folgen im Wochenrhythmus. Im vierten Teil hat er übrigens auch eine kleine Rolle übernommen.
Die Lesung begann recht pünktlich um 20:15 (Primetime ;-)), moderiert wurde sie von irgendeiner Bürgermeisterin aus Köln. Vermutlich reist die mit Ken Follett durch ganz Deutschland und moderiert die Lesungen überall. Zunächst gab es ein paar Fragen an Ken und sowohl Fragen als auch Antworten wurden immer grob ins Deutsche übersetzt, auch wenn erstaunlich viele Gäste genau an den richtigen Stellen gelacht haben und man gemerkt hat, dass viele im Publikum Kens britisches Englisch wunderbar verstehen. In Sachsen eigentlich ein Wunder 😉 Nach ein wenig Vorgeplänkel zu den TV-Säulen der Erde ging es dann um sein neuestes Werk. Mit über 1000 Seiten ist erst der erste Teil seiner Jahrhundert-Trilogie, welche in Band 1 fünf Familien im ersten Weltkrieg begleitet, in Band 2 deren Kinder im zweiten Weltkrieg und Band 3 spielt dann bei den Enkeln im Kalten Krieg. Er nimmt sich mit dem 20. Jahrhundert diesmal also nicht des Mittelalters an, sondern einer Zeit, die wir a) alle kennen (ob nun selber zum Teil erlebt haben oder aus Erzählungen unserer Eltern und Großeltern kennen) und b) die er als ebenso gefährlich und spannend erachtet wie das Mittelalter:
Noch nie haben sich Menschen so verbissen bekämpft und so viele ihrer eigenen Art umgebracht. Und wir haben selber wohl zu keiner anderen Zeit einen besseren Bezug, als zu „unserem“ 20. Jahrhundert, welches uns – nicht zuletzt durch die ganzen demokratischen Bewegungen – bis heute prägt. Diese Zeit, so Ken Follett, ist für ihn ein sehr spannendes Feld, hier kann man besonders gut die Ängste und Hoffnungen der Generationen herausstellen. Und selbst wer erst, wie ich, irgendwo in den ersten von 42 Kapiteln steckt, der merkt, dass diese Zeit auch für den Leser sehr spannend ist!
Ein wenig aus dem Nähkästchen hat der gute Ken dann auch noch geplaudert – z.B. dass er seiner Familie immer wieder Auszüge vorlegt zum kritisieren. Wenn dann irgendwo eine Bemerkung dran steht, weiß er: Dieser Abschnitt hat nicht die Dramaturgie rübergebracht, die ich eigentlich da haben wollte, denn man soll nicht aufhören können zu lesen. Dann kann es auch mal sein, dass da zwar steht „Kapitel langweilig, bitte kürzen!“, er das Kapitel aber im Gegenteil verlängert um eben besagte Dramaturgie wirklich auszubauen. Kleine Anmerkung, lieber Ken: Das „nicht aufhören können zu lesen“ gelingt Dir wunderbar, ich habe schon so manche Nacht viel zu wenig geschlafen und bin in der Uni so manches mal in Zeitverzug wegen Deiner Bücher gekommen! (Ich verzeih Dir das aber, wenn Du mindestens 90 wirst und noch zig Bücher schreibst ;-))
Übrigens wird ihm immer wieder erzählt, er habe ja einen Pilotenschein – was Quatsch ist. Er hat für eines seiner Bücher nur mal Flugstunden genommen – und eine lustige Geschichte davon erzählt. Er ist nämlich der Meinung, man solle für Flugstunden nicht älter sein als 19 – und nicht 50, wie er zu dem Zeitpunkt. Man müsse sich so viel merken und auf viele verschiedene Sachen gleichzeitig konzentrieren, so Ken, und das wäre nichts für ihn. (Danke, nun vertrau noch einer den Piloten die täglich zig Flugmeilen fliegen und KEINE Teenies mehr sind :P) Er habe auch nie selber so einen kleinen Vogel fliegen dürfen, nur eine Landung wäre ihm mal vergönnt gewesen. Was wohl entsprechend glatt gelaufen ist: Normalerweise fliegt man bis auf eine Resthöhe von 3 Metern, und sinkt dann über 100 Meter nur noch langsam. Er muss das wohl vergessen haben, denn er ist einfach auch die letzten Meter sehr schnell gesunken und hat eine entsprechend holprige Landung hingelegt. Ihm tat dabei vor allem seine junge Fluglehrerin leid, die kalkweiß aus dem Vogel ausgestiegen ist.
Ebenso lustig hat er seine erste Begegnung mit Barbara Follett auf die Frage hin beschrieben, wie viel Einfluss seine Frau auf seine Werke hat. Viel übrigens 🙂 Aber die erste Begegnung muss wohl ähnlich holprig gewesen sein, wie seine oben beschriebene Landung: Es war bei einer Sitzung der Labour Party, die Barbara geleitet hatte und dabei sehr „bossy“ mit den anderen umgesprungen sein muss. Ken hat ihr daraufhin einfach aus Prinzip immer wieder wiedersprochen bis: „somtime we stopped arguing and fell in love.“ 🙂
Aber nicht nur seine Frau spielt für seine Werke eine große Rolle, auch seine Vorfahren, insbesondere für sein neuestes Buch. Denn der Junge, Billy, der im ersten Kapitel an seinem 13. Geburtstag zum ersten Mal in der Mine arbeiten muss, ist stark an seinen Großvater angelehnt, der damals ebenfalls mit 13 Minenarbeiter wurde. Übrigens ist Ken der Ansicht, dass die Arbeit in der Mine – wie man auch vor einigen Wochen sehr gut in Chile sehen konnte – immer noch viel zu viele Gefahren birgt, auch wenn er erleichtert ist, dass nun wenigstens keine Dreizähnjährigen hinabsteigen müssen.
Übrigens – die Brüder, so Ken Follett, die in Russland beschrieben werden, wie sie versuchen Tickets nach Amerika zu bekommen, die gab es wirklich. Es sind die Brüder der Mutter eines Freundes, die ebenfalls nur eine Karte nach Amerika bezahlen konnten – und die Schwester schickten. Und auch hier brach nach einigen Jahren und durch den Krieg die Verbindung zwischen den Familienmitgliedern ab – bis ungefähr in den 80ern. Da boten die Brüder dann der Schwester an, zurück nach Russland zu kommen, weil sie glaubten, sie habe das schlechtere Los gezogen: Während die Brüder die Sowjetunion mit aufbauten, fuhr ihre Schwester in Cadillac und Nerzmantel durch Kalifornien…
Neben diesen Hintergrundinfos gab es natürlich auch noch Erzählungen aus seiner Arbeitsweise – zum Beispiel hat er allein sechs Monate nur damit zugebracht geschichtliche Bücher zu lesen um die Zeit besser kennen zu lernen. Hilfreich waren hierbei vor allem auch Bildbände, die wunderschön zeigten, was damals getragen wurde, was es in den Läden zu kaufen gab und wie die Menschen sich z.B. fortbewegten. Und er beruhigte seine Leser: Denn obwohl er seine Charaktere im Vordergrund sieht und die historischen Fakten „nur“ als spannenden Hintergrund sieht, hat er sich äußerste Mühe gegeben, die Geschichte nicht zu verfälschen. D.h. jede reale Figur die irgendwo irgendwas sagt, hat diesen Ort a) tatsächlich um diese Zeit herum, oder genau an dem Tag, besucht, und b) hat auch das was sie sagt so oder ähnlich gesagt – sei es nun in Ansprachen, in Briefen oder in Hinterzimmergesprächen. Ebenso versucht er auch bei der Darstellung der Verhältnisse der verschiedenen Personen zueinander historisch korrekt zu sein – und räumt so nebenbei möglicherweise mit dem ein oder anderen Vorurteil über einzelne Personengruppen auf. Beispielsweise sind die britischen Offiziere wohl doch nicht so deppert, wie die Briten es wohl allgemein immer glauben/geglaubt haben.
Vorgelesen wurde nach noch allerlei mehr Fragen dann ein wenig was vom Anfang des Buches – nämlich vom Minenunglück, dass sich zu Beginn ereignet und wunderbar darstellt, wie gefährlich die Arbeiter ihr Brot verdienen mussten, und was die Minenchefs alles an Maßnahmen, die den Kumpels das Leben hätten retten können, aus Geldgier unterlassen haben.
Abwechselnd haben Ken Follett und die Moderatorin diese Texttellen vorgelesen und besonders wenn er las, kam man richtig in die Geschichte rein. Ist halt doch was anderes, wenn der Autor selbst aus seinem Buch liest, oder jemand eine Übersetzung vorliest. Und er hat auch eine wesentlich bessere und schönere Stimme als diese Dame. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte er ihren Part auch und noch viel mehr vorlesen können.
Und eine kleine Anekdote noch zum Schluss: Er wurde nach seinen Träumen damals als kleiner Junge und heute als erfolgreicher Autor gefragt. Seine Antwort: Früher habe er sich vorgestellt, ein „space ship“ zu fliegen – heute ist er wunschlos glücklich. Denn er darf das machen, was ihm am meisten Freude bereitet.
Leider war dann nach ein paar kurzen Fragen auch schon wieder alles vorbei und wir konnten uns einreihen um unsere Bücher signieren zu lassen. Ein netter Mensch – er hat jeden einzeln angesehen und angelächelt und auf mein „Thank you“ sogar mit „You’re welcome“ geantwortet. Schade, dass ich dann schon los musste, ich wäre gerne noch geblieben, um vielleicht ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Aber ich denke, wenn er schon drei Mal in Dresden war, wird er zum nächsten Buch auch wieder herkommen. Also, bis 2012 lieber Ken 🙂
Ken Follett, 12.11. 2010, Thalia Haus des Buches, Dresden