[Rezensionsexemplar]
Im vergangenen Monat habe ich einen weiteren Band der rororo-Entdeckungen-Reihe, Herausgegeben von Magda Birkmann und Nicole Seifert, gelesen. Dieses Mal war es „Familienglück“ von Laurie Colwin – in der Übersetzung von Sabine Längsfeld.
Mich hat die Ausgangsfrage vom Klappentext fasziniert: „Familie, Liebe, die Freiheit. Kann es von einem zu viel geben?“
Für einen Augenblick musste ich an ein sehr gegenteiliges Buch denken – „Vincent“ von Joey Goebel (übersetzt von Hans M. Herzog und Matthias Jendis) – in dem es genau um die umgekehrte Prämisse ging. Aber während in „Vincent“ alles dafür getan wird, dass der Protagonist möglichst viel leidet, scheint die Hauptfigur in „Familienglück“ alles zu haben, was man sich – zumindest aus gesellschaftlicher Sicht – nur wünschen kann:
Polly ist verheiratet, hat zwei Kinder. Ihre Familie ist so wohlhabend, dass der Besuch eines schnöden Supermarktes als Katastrophe gilt. Sie arbeitet in Teilzeit, auch wenn ihre eigene Mutter dieses Engagement mehr als kritisch sieht. Sie müsste also rundum glücklich sein.
Und doch wirkt es so, als wäre sie erst wirklich glücklich, als sie sich in einen Maler verliebt. Lincoln ist Künstler, liebt und braucht die Einsamkeit und gleichzeitig liebt er auch Sie. Und er schenkt ihr, wann immer sie zusammen sind, seine gesamte Aufmerksamkeit. Genau das hebt ihn von ihrer Ehe und ihrem gesamten restlichen Umfeld ab. Dort wird sie als Selbstverständlichkeit und eher wie ein gut zur Einrichtung passendes Möbelstück hingenommen.
Ich mochte die Geschichte, deren Ende ich hier nicht spoilern will. Stellenweise fand ich die Beschreibungen der ganzen Partys und der Familienkonstellationen etwas mühsam, aber sie waren wohl nötig, um ein Gefühl für die Welt, in der Polly lebt, zu gewinnen. Und vielleicht ist der Roman in der Hinsicht auch eben Teil einer anderen Erzählzeit: „Show don’t tell“ ist hier als Prinzip nicht immer zu finden.
Was mich stellenweise auch gestört hat, ist, dass einzelne Sätze in ihrer Verschachtelung keinen Sinn ergaben. An der Stelle weiß ich nicht, ob es an der Übersetzung lag oder die Übersetzerin sehr nah am Original geblieben ist, um den Tonfall der Autorin auch an solchen Stellen möglichst genau widerzugeben.
Insgesamt stellt „Familienglück“ interessante Fragen, selbst wenn man nicht in einer Beziehung lebt. Auch die Antworten, die das Buch gibt, sind lesenswert – und gleichzeitig lassen sie den nötigen Raum für eine eigene Sicht nach dem Lesen.