Antigone – in dreifachem Gewand (Rezension)

In letzter Zeit hat es mich recht häufig nach Griechenland verschlagen – ins antike Griechenland, um genau zu sein. Dank meiner Bloggerkollegin Mallefitz habe ich mich in Sophokles‘ thebanische Trilogie – „König Ödipus“, „Antigone“ und „Ödipus auf Kolonos“ – verliebt. Was mit den Theateradaptionen von Bodo Wartke begann, mündete in der stundenlangen Lektüre der Reclamhefte.

Während ich mich immer mehr in die Werke von Sophokles verliebte, entdeckte ich zudem beim Carlsen Verlag eine Comic-Adaption von „Antigone“. Diese bekam ich als Rezensionsexemplar – vielen Dank dafür – und möchte Euch jetzt gerne mit auf meine literarische Reise durch dieses Werk und seine Adaptionen nehmen.

Antigone – die Frage nach dem Recht

Dank Bodo Wartkes gekonnter Adaption, benötigt man überhaupt keine Vorkenntnisse, um zu verstehen, worum es in „Antigone“ geht. Ich versuche, das hier in kurzen Worten (vereinfacht, denn die Familienverhältnisse im Werk sind etwas komplex) zusammenzufassen. Eine der zentralen Fragen im Stück ist jene die fragt, was Recht bedeutet. Ist eine Handlung, die im Sinne eines Staates – berechtigt – als illegal gilt, auch aus ethischer Sicht Unrecht? Welchen Stellenwert hat Moral in der Rechtssprechung – und welchen Stellenwert sollte sie haben?

Es geht um Antigone, deren Brüder sich bekämpft haben und die beide im Kampf um Theben durch die Hand des jeweils anderen gestorben sind. Kreon, Antigones Onkel, deklariert den Tod des einen als ehrenhaft, da er Theben verteidigte. Selbstverständlich soll er bestattet werden. Den anderen Bruder, der Theben angriff, bezeichnet Kreon jedoch als Feind und verweigert ihm eine Bestattung. Diese ist jedoch gottgegebenes Recht einer jeden Person, egal ob Freund oder Feind. Niemand – auch nicht Kreon als Herrscher – darf sich diesem Recht widersetzen. So lautet zumindest Antigones Standpunkt und obwohl die Todesstrafe darauf steht, versucht sie, ihren Bruder, dessen Leichnam vor Thebens Grenze verrotten soll, zu bestatten – und wird dabei erwischt.

Das Foto zeigt den Schriftzug auf dem roten Cover des Theatertexts
(Foto: S. Schückel)

Mein Ausgangspunkt: Bodo Wartkes „Antigone“

Die Adaptionen der Sophokleschen Tragödien von Bodo Wartke zeichnen sich vor allem durch etwas aus, das im ersten Moment nicht zu passen scheint: Humor. Obwohl „Antigone“ eine Tragödie ist und man allein schon deshalb auch ohne detaillierte Spoiler weiß, dass die Sache nicht wirklich gut ausgehen wird, schafft Bodo Wartke es, den Stoff mit erstaunlicher Leichtigkeit und mit einem zu den jeweiligen Szenen passenden Augenzwinkern zu vermitteln.

Seine „Antigone“ schließt nahtlos an den „Ödipus“ an (den er zuerst adaptierte) und enthält zudem auch Sophokles‘ „Ödipus auf Kolonos“. Und anstatt sich dem Stoff traditionell zu nähern, erzählt Bodo Wartke zwar die Geschichte von Antigone, baut jedoch viele moderne Elemente und noch mehr popkulturellen Referenzen ein. Alle Rollen werden von ihm selbst bzw. seiner langjährigen Bühnenpartnerin Melanie Haupt gespielt – gerecht verteilt und ungeachtet der Geschlechter. Dabei halten sie stets die Balance zwischen dem notwendigen Ernst (und Respekt) gegenüber der über 2000 Jahre alten Vorlage und der bereits erwähnten Leichtigkeit und Verständlichkeit.

Kurzum: Würde man die Adaption von Bodo Wartke in den Schulen zeigen, würden wohl viele Schüler*innen alles andere als gelangweilt sein. Neugierig? Hier geht es zum Trailer.

Das Foto zeigt den Schriftzug auf dem gelben Cover des Theatertexts
(Foto: S. Schückel)

Sophokles‘ Werk

Je mehr ich mich mit der thebanischen Trilogie beschäftigte – zunächst über Wikipedia und ein Buch über die griechische Mythologie – desto neugieriger war ich auf das was Sophokles damals schrieb. Das Werk, das 442 v. Chr. uraufgeführt wurde, ist letztlich weniger sperrig als ich es mir vorgestellt hatte. Zumindest, so meine Überlegung beim Lesen, ist es nicht allzu sperrig, wenn man von vornherein weiß, worum es letztlich geht. (Okay, die Szenen mit dem Chor sind teilweise sehr sperrig, jedoch ergibt der Rest auch dann Sinn, wenn man den Chor nicht unbedingt versteht.) Und wenn man bedenkt, dass diese Geschichte mehr als 2000 Jahre alt ist, ist das schon sehr beeindruckend. Immer wieder ging mir die Frage durch den Kopf, ob und wenn ja welche Werke wohl in 2000+ Jahren noch gelesen oder aufgeführt werden.

Ich glaube, es ist vor allem die Zeitlosigkeit der Tragödie und der Fragen die sie stellt, die das Stück nach all der Zeit immer noch so faszinierend macht. Die vielzähligen Konflikte, die Sophokles aufwirft, ziehen sich wohl durch alle Generationen. Was wiegt schwerer – die Erfahrung eines älteren Menschen oder die frischen Ideen eines jüngeren? Hält man – vielleicht stur? – an einmal getroffenen Entscheidungen fest oder wechselt man – vielleicht zu oft? – die Perspektive? Widersetzt man sich dem, was man als Unrecht ansieht, oder folgt man wider besseren Wissens? Und ist dieser Widerstand wirklich richtig?

Das Foto zeigt den Schriftzug auf dem schwarzen Cover des Comics
(Foto: S. Schückel)

Als Comic: „Die Unheimlichen – Antigone“ *

Die Zeitlosigkeit des Stoffs zeigt sich auch, wenn man die feministische Perspektive einnimmt. Antigone lehnt sich gegen ihren Onkel – den Herrscher Thebens! – auf und zwar zu einer Zeit, in der Frauen keine politischen Rechte hatten. In der Adaption von Olivia Vieweg wird die feministische Seite des Stücks besonders deutlich.

Der Comic ist in der Reihe „Die Unheimlichen“ erschienen, einer Reihe, in der Comiczeichner*innen verschiedene klassische und moderne Schauergeschichten neu darstellen. Herausgegeben wird die Reihe von Isabel Kreitz.

Ich war zunächst skeptisch, weshalb „Antigone“ eine Schauergeschichte sein soll – nach einem kurzen Blick in den Comic erübrigt sich jedoch diese Frage. Zwar empfinde ich das antike Stück nach wie vor nicht als Schauergeschichte, aber Olivia Vieweg hat – passend zur Reihe – eine sehr blutrünstige Darstellung des Stücks gewählt. So ist die Darstellung des verwesenden Bruders sehr explizit und insbesondere die Schlusszene in Viewegs Adaption hat es in sich. Die Intensität des Stücks transportiert sie dabei jedoch nur in Grauschattierungen und dem Einsatz blutroter Highlights und auch die weniger appetitlichen Zeichnungen sind trotz der Brutalität regelrecht ästhetisch.

Während Olivia Vieweg in ihrer Version des antiken Stücks nicht alles einbezieht, was Sophokles – oder auch Bodo Wartke – erzählen, gelingt es ihr dennoch die gesamte Dramatik der Geschehnisse abzubilden. Vielmehr noch: Sie nimmt eine bedingungslos feministische Perspektive ein und arbeitet heraus, welche Kraft hinter Antigones Widerstand steht, mit welcher Vehemenz sie für ihre Ansichten einsteht und wie aktiv sie ihr eigenes Schicksal zu bestimmen vermag.

Das Foto zeigt alle drei Bücher auf weißem Grund)
(Foto: S. Schückel)

Antigone – drei Lektüren, ein Fazit

Ich bin froh, dass „Antigone“ nie Thema in der Schule war, denn dann hätte ich wohl kaum das Glück gehabt, mich dem Stoff mit diesem Interesse zu nähern. Und ich hätte im Unterricht wohl auch keine der Adaptionen für mich entdecken können.

Ist „Antigone“ auch heute noch lesens- bzw. sehenswert? Unbedingt – und das in jeder Form. Und egal, welchen Einstieg Ihr wählt: Gebt auch Sophokles Worten eine Chance. Manch eine Formulierung mag ein Stirnrunzeln hervorrufen, aber alles in allem ist der Text verdammt spannend zu lesen.

Habt Ihr „Antigone“ in der Schule gelesen? Reizt Euch die Geschichte – vielleicht auch in einer der anderen Adaptionen?

2 Gedanken zu “Antigone – in dreifachem Gewand (Rezension)

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