Unter dem Titel „Library of Exile“ kann man derzeit im Japanischen Palais in Dresden eine Ausstellung besuchen, die Migration, Exil und auch die Überwindung von Sprachbarrieren ins Zentrum stellt. Dass ich als Buchbloggerin da nicht lange widerstehen kann, war eigentlich klar. Da die Ausstellung nur noch bis zum 16. Februar läuft – und Dresden oder der kommende Ausstellungsort (London) für Euch vielleicht nicht gerade „um die Ecke“ liegen – nehme ich Euch sozusagen virtuell mit. Und wenn Ihr doch noch Gelegenheit habt, Euch im Japanischen Palais einzufinden: Macht es! So viel kann ich schon vorab verraten.
Kernstück der Ausstellung ist die Rauminstallation „library of exile“ von Edmund de Waal, die durch weitere Kunstinstallationen sowie den Einblick in die Restaurationswerkstatt des Damaskuszimmers ergänzt wird.
Klemperer, Porzellan und Kintsugi
Victor Klemperer ist ein Name, um den man in Dresden nicht vorbei kommt. Der Romanist und Politiker – ein protestantischer Konvertit jüdischer Herkunft – hat in seinen Tagebüchern, die ab 1995 unter dem Titel „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten (1933–1945)“ erschienen, detailliert die Alltagserfahrungen zur Zeit des Nationalsozialismus festgehalten. Die Familie Klemperer, aus der er stammt, war zudem im Besitz einer sehr bedeutenden Sammlung Meissner Porzellans, welche während der Nazizeit konfisziert wurde.
Im Bombardement Dresdens wurden auch Teile der Sammlung schwer beschädigt. Erst sehr spät nach dem Krieg wurden Scherben ebenso wie ganze Stücke an die Familie, die aus Dresden fliehen musste, restituiert. Heute stehen diese Stücke auch für Versöhnung, denn die Familie Klemperer schenkte Teile an die Porzellansammlung.
Von dem was durch Krieg und Verfolgung zerbricht und durch Versöhnung aber auch nach und nach vielleicht heilen kann, sprechen die ersten Ausstellungsstücke im Rundgang: Zerbrochene und ganze aber auch reparierte Teller der Porzellansammlung der Klemperers. Edmund de Waal erwarb die Stücke auf einer Auktion und bat die japanische Künstlerin Maiko Tsutsumi Teile davon in der traditionellen japanischen Kintsugi-Technik zu veredeln.
Ich habe mit den Tellern zum ersten Mal diese Kunst gesehen, von der ich schon viel gehört habe. Es ist beeindruckend, was die goldenen Linien mit den Tellern machen und die Teller entfalten eine ganz besondere Wirkung beim Betrachten.
Die library of exile
Im Raum, der sich an den mit den ausgestellten Tellern anschließt ist namensgebend für die gesamte Ausstellung: die library of exile. Mehr als 2000 in vielen Sprachen befinden sich in einem begehbaren Würfel der mit Porzellan überzogen ist und in dessen Außenwand die Namen verlorener Bibliotheken eingeschrieben sind. Als Besucher*in kann man in den Büchern stöbern, sich in Exlibris eintragen und im angrenzenden Lesesaal sowohl eigene Exlibris erstellen als auch im „book of exile“ die eigene Geschichte erzählen.
Ich weiß nicht, wie lange ich im Würfel mit all diesen Büchern stand und sie betrachtete, in die Hand nahm und hineinblätterte. Den Geschichten hinter den Geschichten in den Regalen und meinen Händen nachspürte, Ich suchte mir bekannte Namen und fand sie ebenso wie ich neue Namen entdeckte und mir aufschrieb. Bücher von Autoren waren eindeutig in der Mehrheit und ich fragte mich, ob diese Entscheidung vom Künstler (un)bewusst getroffen wurde, oder ob Männer einfach häufiger im Exil publizieren bzw. ob ihnen überhaupt häufiger die Ausreise gelingt. Falls Ihr zu dieser Thematik mehr wisst, schreibt mir gerne!
Corner I und II
An den Lesesaal der library schließt sich eine Rauminstallation an, die nicht weniger beeindruckend ist als die Bibliothek selbst. Seidenbahnen hängen von der Decke herab und die Künstlerin Zuzanna Janin, die dieses Kunstwerk geschaffen hat, stellt letztlich die Frage nach der Wandelbarkeit und Flüchtigkeit von Heimat. Geht man am Kunstwerk entlang, so wehen die Stoffbahnen leicht durch den Luftstrom und bleiben so nie gleich. Ähnlich wie Heimat. So weiß wie das Kunstwerk ist, so still ließ es mich innerlich werden.
The Well
Der Raum, der sich an die Leichtigkeit der Seide anschließt ist in gewisser Weise das komplette Gegenteil: Bis auf die Beleuchtung des Kunstwerks, ist der gesamte Raum in Dunkelheit getaucht. Ein beleuchteter Brunnen steht in der Mitte des Raums, um ihn herum kleinere Schächte, die vermeintlich in den Boden führen. Ebenso vermeintlich wie der Brunnen, denn das Kunstwerk nutzt geschickt die optische Täuschung durch Spiegelungen aus. Blickt man hinein, wird der Eindruck erweckt, dass die Öffnungen in die Unendlichkeit ragen.
Mark Justitiani, der Künstler, der dieses Kunstwerk eigens für das Japanische Palais geschaffen hat, hat in die Mitte seiner Arbeit einen Stapel Bücher gestellt, der ein Sinnbild des Wissens sein soll und quasi als „Wirbelsäule“ des menschlichen Lebenszyklus fungiert. Rundherum sind im Brunnen kleinere Gegenstände angeordnet, die ebenso in gewisser Weise das Leben formen oder im Leben eine besondere Bedeutung haben.
Mich hat gerade der Gedanke beeindruckt, dass Bücher unsere innere Wirbelsäule sein können und ich finde die Frage spannend, welche Bücher wohl die Wirbelsäule eines/einer jeden einzelnen von uns bilden und wie wandelbar diese Wirbelsäule vielleicht auch ist.
Das Damaskuszimmer… und ein bisschen Erde
Ich habe aus verschiedenen Gründen eine ganz besondere Beziehung zu Syrien und ich war beeindruckt, dass man aktuell im Japanischen Palais einen Blick hinter die Kulissen der Restaurierung des Damaskuszimmers erhalten kann. Dies wird durch das Museum für Völkerkunde Dresden ermöglicht.
Im ersten Stock des Museums kann man also das um 1810 entstandene Empfangszimmer eines Damaszener Altstadthauses besichtigen. Ich muss jedoch zugeben, dass mich ein anderes Ausstellungsstück weit mehr bewegt hat, auch wenn das Damaskuszimmer sehr beeindruckend war. Dieses andere Ausstellungsstück ist eine goldene Schatulle mit einem Beutel Erde darin, die dem deutsch-syrischen Künstler Manaf Halbouni gehört. Die Erde stammt aus Damaskus, aus dem Garten des Vaters und steht für ein Teil der Heimat, die für ihn aktuell nicht erreichbar ist. Als jemand, der selbst oft mit Heimweh zu kämpfen hat, kann ich nur erahnen, wie tief der Schmerz beim Anblick dieser Erde gehen muss…
Eine Ausstellung, die bewegt
Im Anschluss an den Besuch der Ausstellung gingen mit immer wieder verschiedene Fragen durch den Kopf. Dazu gehören die Fragen, die sicherlich aufgeworfen werden sollen: Was ist Heimat? Was bleibt davon übrig, wenn das Leben auf zum Teil sehr grausame Weise diese Heimat unerreichbar macht? Wie kann aber auch Verständigung und vielleicht sogar Versöhnung gelingen?
Und dann waren da noch Fragen, die auch aus persönlichen Erfahrungen und der Geschichte meiner Familie entstanden: Was würde ich mitnehmen, müsste ich meine Heimat verlassen? Würde ich darüber schreiben können? Welche Geschichten würde ich erzählen? Was wäre mir so wichtig, dass es überdauern muss?
Und bei all den Bezügen zur Literatur entstand in mir der Wunsch, mehr von denjenigen zu lesen, deren Heimat unzugänglich oder zerstört ist. Damit ihre Heimat in gewisser Weise auch in meinem Gedächtnis weiterlebt. Wenn Ihr mögt, schließt Euch mir bitte gerne an. Unter #ExilliteraturLesen werde ich meine Leseeindrücke in Zukunft festhalten.
Und wenn Ihr es schafft, guckt Euch unbedingt die Ausstellung an!
Oh, das klingt spannend! Exilliteratur ist ein besonderes Thema – wer kann sich schon vorstellen, seine Heimat so gründlich zu verlieren?
Eine spannende Ausstellung, danke fürs Mitnehmen Sarah. Mach deinem Bericht würde ich sie mir gerne ansehen, aber es wird knapp noch bis zum 16. Februar nach Dresden zu kommen. Nach Exilliteratur werde ich mal suchen.
Hallo,
danke fürs virtuelle Mitnehmen und den großartigen Einblick! Dresden und London sind für mich beide nicht gerade um die Ecke. 🙂
Bei dem Foto des Tellers musste ich direkt an den Roman „Kintsugi“ denken. Ich finde diese kunstvolle Reperatur immer wunderschön und auch bedeutend. Wir sind so eine Wegwerfkultur, in vielerlei Hinsicht, und Kintsugi steht für mich für Achtsamkeit und Wertschätzung.
LG,
Mikka
Danke, dass du uns mitgenommen hast! Eine spannende, sehr gelungene Ausstellung!
Die Rauminstallation mit den Seidenbahnen ließ mich zuallererst an die kleinen abgetrennten Areale in den behelfsmäßigen Erstaufnahmestationen denken: riesige, schlecht belüftete und nie wirklich ruhige Turnhallen, in denen lediglich weiße Raumtrenner für so etwas wie Privatsphäre sorgen. Das live zu sehen fand ich damals sehr ernüchternd, als ich in einer Unterkunft ausgeholfen hatte.