Ein Kind ändert alles – auch in der Beziehung von Sophia und Jan. Alte Träume müssen auf Eis gelegt – wenn nicht gar begraben – werden und auch im beruflichen Leben der beiden stehen Entscheidungen an, die ohne Kind vielleicht anders gefallen wären.
Das war es jedoch nicht, was mein Interesse an „Fake“ von Frank Rudkoffsky weckte. Als Sebastian Wolter mir das Buch im Frühjahr auf der Leipziger Buchmesse ankündigte, war es vielmehr der Rest der Geschichte, der mich um ein Rezensionsexemplar bitten ließ. Vielen Dank an den Verlag an dieser Stelle dafür.
Wie die Figur, so das Netz
Die eigentliche Geschichte dreht sich in meinen Augen weniger um die Figuren selbst, vielmehr geht es um die Welt aus Fake-Nachrichten und Troll-Kommentaren im Netz.
Woher wissen wir, dass der Pöbler in der Facebook-Kommentarspalte nicht der Nachbar von gegenüber ist, der offline sehr nett ist, online aber seinen Frust von der Seele schreibt? Woher wissen wir, dass der Möchtegern-Nazi auf Twitter nicht eine Bekannte ist, die ein Ventil für ihre Sorgen im Alltag oder Job nutzt? (Was definitiv keine Entschuldigung sein soll!) Woher wissen wir, dass es nicht vielleicht der oder die Ehepartner*in ist, der/die in Foren zum Spaß und zur Ablenkung von den eigenen Alpträumen mit Trollkommentaren überzieht?
Genau von dieser Prämisse aus spinnt Frank Rudkoffsky seine Geschichte: Sophia fühlt sich in der Elternzeit von allem abgeschnitten und entdeckt dabei, dass das Aufmischen von Mütter-Foren ihr den amüsanten Zeitvertreib verschafft, der sie von ihrem Frust abzulenken vermag. Schnell eskalieren ihre Ausflüge in die Welt des Trollens und es ist ihr egal, welche Position sie in Bezug auf verschiedene Themen – darunter Impfen, Klimawandel, Haustierhaltung – bezieht. Jede*r Nutzer*in sozialer Medien kennt die sich schnell entspinnenden Shitstorms bzw. Kommentarlawinen nur zu gut und Sophia macht es Freude, alle paar Tage an einer neuen Stelle zu zündeln. Das ganze liest sich auch recht amüsant – einzig und allein bei der Formulierung „Toiletten fürs dritte Geschlecht“ (S. 40) war ich enttäuscht, denn ich hätte dem Autor eigentlich zugetraut, bei aller Provokation seitens seiner Protagonistin, sachlich korrekt zu schreiben (wer es nicht versteht: Ein sog. drittes Geschlecht gibt es nicht).
Jan ist Journalist und hat ebenfalls sein Päckchen Sorgen zu tragen, denn seine beruflichen Aussichten sind alles andere als rosig. Erst das Aufkommen der PEGIDA-„Spaziergänger“ bedeutet eine Wende für ihn – doch die Undercover-Reportage in einer Welt aus Fake News und Lügenpresse-Vorwürfen hat Nachwirkungen, die er nicht hat kommen sehen. Dazu kommt die Anstrengung, Sophia – die nach einem Jahr Elternzeit wieder in ihrem Beruf arbeitet – den Rücken freizuhalten.
Clever konstruierte Vielschichtigkeit
Frank Rudkoffsky erzählt abwechselnd aus Sophias und Jans Leben und schafft es, beide Gedankenwelten sprachlich voneinander zu trennen. Beide Figuren bleiben dabei vergleichsweise blass und schablonenhaft, so dass man sie leicht gegen andere Personen austauschen könnte. Das ist jedoch überhaupt nicht schlimm, sondern richtig clever gemacht – er unterstreicht damit, dass jeder Kommentar im Netz reine Provokation sein könnte und die Personen dahinter andere sein können als sie vorgeben. Wenn man bedenkt, dass viele Troll-Kommentare von Bots oder Personen mit mehreren Accounts geschrieben werden, ist das gar kein abwegiger Gedanke.
Dadurch, dass man beim Lesen in die Gedankenwelt der jeweiligen Figur eintaucht, ist auch schnell klar, dass die Kommunikation zwischen den beiden auf wackeligen Füßen steht. Zwischendurch fand ich das recht frustrierend, da ein klärendes und offenes Gespräch so manch ein Drama hätte verhindern können. Bloß in welcher zwischenmenschlichen Situation ist das (ob in Büchern, in Filmen oder im realen Leben) nicht so? Und so betont auch diese Kommunikationsbarriere wieder die Thematik der in sich abgeschlossenen Filterblasen, die – wie Sophia und Jan – den Schritt aufeinander zu verpasst haben.
Kombiniert mit dem etwas zu klischeehaft anspruchsvollen (Schwieger-) Vater von Sophia und den Vorzeige-Freunden mit Bilderbuchleben könnte man sich zunächst denken, dass Frank Rudkoffsky es sich vielleicht zu einfach macht: Dass er lediglich Klischees aneinanderreiht und eine amüsante aber flache Geschichte über den Sog teils extremer Filterblasen konstruiert hat. Das Gegenteil ist der Fall. So blass Jan und Sophia auch sein mögen und so klischeebehaftet ihre Familie vielleicht auch wirkt, ist die Geschichte selbst doch gerade durch die Parallelen zwischen den On- und Offlinewelten sehr vielschichtig und hallt dadurch bei jedem Blick in Kommentarspalten im Netz noch lange nach.
Mehr zum Buch*:
- Preis: 20 Euro
- Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
- Verlag: Verlag Voland & Quist
- Sprache: Deutsch
- ISBN-10: 3863912438
- ISBN-13: 978-3863912437
Vielen lieben Dank für deine Rezension, Sarah!
Aber auch für den Hinweis zur Stelle mit dem – wie du ganz richtig schriebst – nicht existierenden „dritten Geschlecht“. Hier lasse ich Sophia ganz im Duktus ihrer Trolle reden (und eben auch auf dem Niveau, auf dem manche Diskurse leider stattfinden). Aber du hast Recht, das wird an der Stelle nicht klar genug erkennbar; ich hätte die Formulierung besser kursiv oder in Anführungszeichen setzen sollen. Ich schreib’s mir auf die Liste, falls es eine zweite Auflage geben sollte – danke!
Übrigens fand ich deinen Vergleich von Jans und Sophias Kommunikationsproblemen mit voneinander abgetrennten Filterblasen sehr gelungen, darf ich dir das klauen? 😉
Liebe Grüße
Frank
Lieber Frank,
zunächst einmal entschuldige bitte, dass ich erst jetzt antworte. Mich hat eine fiese Seuche erwischt gehabt und da bin ich dann zwar sehr aktiv auf Twitter, aber irgendwie kann ich mich sonst auf nicht viel mehr konzentrieren (280 Zeichen sind also die Grenze).
Ich dachte irgendwie schon, dass das Sophia nur so dahin sagt aber es war irgendwie in dem Moment nicht eindeutig. Vielleicht hast Du mich auch zu gut im Lesefluss gehabt 😉 Ich drücke nicht nur aus diesem Grund die Daumen für eine zweite Auflage,
Sehr gerne darfst Du klauen – wenn Du dazu schreibst, wo Du es herhast? 😉 (Ich arbeite an einer Uni, ist eine Berufskrankheit^^).
Ich hoffe übrigens sehr, Dich in Zukunft wieder beim Voland&Quist Verlag zu lesen – ich mag es, wenn meine liebsten Verlage ihre Autor*innen gleich mehrfach im Programm haben.
Liebe Grüße und vielen Dank für den Kommentar!
Sarah
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