Rezension: „Super, und dir?“ (Kathrin Weßling)

Bei diesem Buch weiß ich nicht, wo ich anfangen soll. Vielleicht also damit: Vielen Dank an Ullstein und NetGalley für das Rezensionsexemplar – auch wenn das hier keine typische Rezension wird.

(Foto: S. Schückel)

Worum geht es?

Marlene Beckmann, 31, scheint es geschafft zu haben. Sie hat einen begehrten Job, einen Freund, der sie liebt und eigentlich sollte das Leben toll sein, nicht wahr? Doch irgendwie ist es das nicht und je mehr Marlene versucht, es perfekt sein zu lassen, erscheinen zu lassen und sich mit den anderen für sich selbst zu freuen um endlich das Glück, das sie fühlen müsste, auch zu fühlen – desto mehr geht alles schief.

Mein Eindruck: Meine Gedanken:

Meine Meinung zu Büchern ist stets auch an persönliche Erlebnisse gekoppelt und ich glaube, das ist jedem klar, der meine Lesereise hier verfolgt. Dieses Buch jedoch ist enger mit meinem Leben verknüpft als ich es beim Lesen des Klappentextes erwartet hätte. Ich hatte einen Livestream in den Instagram-Stories gefunden, als ich nach einer wahren Winterchaos-Odyssee von der Leipziger Buchmesse nach Hause kam. Darin zu sehen: Kathrin Weßling, die aus „Super, und dir?“ las und es war eine Szene, die sowohl witzig als auch tragisch klang und irgendwie ging mir das Buch danach nicht mehr aus dem Kopf.

Nach dem Lesen des Klappentextes fragte ich es ein paar Wochen später einfach spontan an, mein Bauchgefühl sagte mir: Dieses Buch ist wichtig für Dich selbst. Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt dafür. Vielleicht war es aber auch ein Test für mich.

An dieser Stelle beginnt wohl der Teil dieses Beitrages, der ihn weniger zu einer Rezension und mehr zu einer Gefühls- und Gedankensammlung macht. Denn ich bin ein Medienmensch – wie Marlene Beckmann. Ich bin 28, also in einem ähnlichen Alter. Ich habe jahrelang, so wie sie, studiert und mich auf einen tollen Job vorbereitet.

Man sagt immer, man solle einen Beruf wählen – und keinen Job. Weil Beruf und Berufung zusammenhängen würden. Was aber, wenn man einen Job braucht, weil sonst die Rechnungen nicht bezahlt werden? Im Gegensatz zu Marlene hatte ich Glück und bekam einen Job, der zumindest teilweise mit meinem Beruf zu tun hatte und den ich zwei Jahre lang – auch gerne – machte. Und beim Lesen erkannte ich dennoch die Warnsignale, die ich im vergangenen Jahr immer wieder ignoriert hatte.

Diese Warnsignale führten dazu, dass es mir beim Lesen wieder und wieder eiskalt den Rücken runter lief und ein Gedanke setzte sich in mir fest: Ich hätte Marlene sein können, hätte ich nicht irgendwie die Notbremse gezogen. Was bei Marlene die Drogen sind, war bei mir mein Immunsystem. Und die Sache ist die: Man kann jemandem noch so oft sagen, dass die Notbremse dringend nötig ist – doch das bringt nichts. Die Erkenntnis, dass etwas, das im Leben schief geht, eben keine „Phase“ mehr ist, sondern wirklich etwas, das man mit aller Kraft ändern muss – diese Erkenntnis benötigt Zeit. Zeit, die man vermutlich nicht hat, denn wenn man, wie Marlene – oder ich – in einem Laufrad aus immer stärker steigenden Ansprüchen gefangen ist, wird man zum Gefangenen des eigenen Selbst. Und selbst wenn die Zeit da wäre, bräuchte man noch die Kraft. Kraft, die man nicht mehr zu haben scheint, wenn alles nur noch grau erscheint und der Montagmorgen schon am Freitagnachmittag zu nah ist.

Bei diesem Buch gab es eine Übereinstimmung von vielleicht 50% zu meinem Leben, aber diese 50% waren schmerzhafter zu lesen als alles, was in Marlenes Leben ansonsten zu Bruch ging. Ich war fast ein wenig dankbar, dass Kathrin Weßling Marlene in die Sucht hat abrutschen lassen, denn auf diese Weise war da eine Barriere zwischen mir und dem Buch. Eine Grenze der Erfahrung, die Marlene und ich eben nicht teilen und die mir dennoch umso deutlicher machte, wie viel mehr in meinem eigenen Leben hätte schief gehen können.

Kathrin Weßlings Buch ist kein schönes Buch. Es ist mehr und es hat sehr viel Potential. Es ist eine Schauergeschichte, die uns warnen kann, dass es Dinge gibt, die wichtiger als ein Job, Karriere oder ein schickes Facebok-Bild sind. Wenn wir daraus lernen, kann es helfen. Es kann aber auch eine hässliche Fratze sein, die uns das vor Augen führt, was wir nicht sehen wollen und wovor wir unsere Gefühle verschließen. Wenn wir diesem Spiegelbild begegnen, dann kann das Buch sehr wohl zerstören.

In meinem Fall, ähnelt dieses Buch einem Monster unter dem Bett, von dem man – ist man ein Kind – überzeugt ist, dass es dort lauert. Der Trick ist, sich so ins Bett zu legen, dass das Monster keine Chance hat. Oder anders ausgedrückt: Den Warnschuss des Lebens verstanden zu haben, um zu verhindern, dass man jemals wieder dort landet, wo das Monster einen auffrisst.

Fazit:

Liebe Kathrin Weßling: Danke. Danke für das, was dieses Buch in mir ausgelöst hat. Diese Lesereise war schrecklich und heilsam zugleich und ich weiß nicht, wie es Ihnen gelungen ist, die Essenz meiner Emotionen aus einem Jahr in Worte zu fassen, in dem mir die Worte so sehr fehlten.

Das ist die wohl persönlichste Rezension – wenn es denn eine ist – die ich je geschrieben habe. Ich weiß nicht, ob ich sie nicht irgendwann offline schalte, aber auch das gehört wohl zum Heilungsprozess dazu: darüber sprechen, auch wenn es nicht einfach ist.

An diejenigen, die sich jetzt vielleicht in meinen Worten wiedererkennen und überlegen, ob sie dieses Buch lesen möchten: Bitte seid vorsichtig. Dieses Buch ist unheimlich gut, aber eben auch genau das – unheimlich. Vor einem halben Jahr hätte ich dieses Buch nicht lesen dürfen, jetzt habe ich genau diese Worte gebraucht. Bücher finden den richtigen Zeitpunkt in Eurem Leben, vielleicht ist dieser Zeitpunkt gekommen, vielleicht kommt er später noch.

Gebt gut auf Euch acht.

Mehr zum Buch:*

  • Broschiert: 256 Seiten
  • Verlag: Ullstein fünf (6. April 2018)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3961010102
  • ISBN-13: 978-3961010103

 

PS: Mir geht es gut. Nach Notbremse, Verzweiflung und Angst hatte ich – gelinde gesagt – mehr Glück als Verstand, denn die richtige Gelegenheit kam zum richtigen Zeitpunkt. Die Angst, dass ich jemals wieder so weit unten sein könnte, die ist noch da, aber es ist eine gesunde Angst – so wie die vor Feuer oder einem Sturz aus großer Höhe. Ich gebe auf mich acht, habe Menschen um mich herum, die dies ebenfalls tun und ich lerne jeden Tag, mein neues Glück zu genießen.

3 Gedanken zu “Rezension: „Super, und dir?“ (Kathrin Weßling)

  1. Eine wirklich tolle Rezension und in der Tat sehr persönlich. Auch ich habe meine Geschichte hier und da gefunden, jedoch wohl auf eine andere Art. Ich denke es wird vielen ähnliche ergehen, weil es einfach so präsent und aktuell ist.

    Das Buch schmerzt wirklich beim lesen, ich denke auch das es nicht für jeden etwas ist, aber trotzdem hoffe ich das es viele lesen werden.

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