Rezension: „Die Ermordung des Commendatore I“ (Haruki Murakami) – ein erster Eindruck

„Eine Idee erscheint“ – so der Untertitel des ersten Teils von Haruki Murakamis neuem Roman „Die Ermordung des Commendatore“. Die Idee, mir das Buch zu kaufen, kam für mich sehr spontan im Buchladen, denn eigentlich hatte ich nicht vor, mit einem Zweiteiler in das Werk Murakamis einzusteigen bzw. auszuprobieren, ob ich seine Geschichten überhaupt mag.

Um Murakami schleiche ich schon länger herum, viele Freunde und Bloggerkolleg*innen sind Fans – was den Einstieg aber auch nicht erleichtert. Zumal er gerne als Wunschkandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wird (nicht immer ein Zeichen für Kompatibilität mit meinem Geschmack) und viele Bücher geschrieben hat. Wo also anfangen, wenn ich anfange? Das war stets meine Frage und eine wirkliche Antwort darauf hatte ich auch nicht, als auf Instagram immer mehr Blogger*innen die Vorabexemplare des neuen Buches, bzw. des ersten Teils der zweiteiligen Geschichte, zeigten.

Ein Teil von mir wollte dem Hype nicht nachgeben, ein anderer Teil blickte neugierig auf die ersten Eindrücke und – ganz ehrlich – auch etwas neidisch auf den schönen blauen Buchschnitt, den nur die erste Auflage hat. Dennoch war dieser Sammler-Aspekt für mich noch lange kein Grund, das Buch zu kaufen. Das änderte sich, als ich im Thalia Haus des Buches in Dresden auf einen Freund wartete, mit dem ich einen Kaffee trinken wollte. Da seine Bahn sich verspätet hatte, stöberte ich durch die Bücher und sah natürlich auch den neuen Murakami im Regal stehen. Neugierig nahm ich ihn zur Hand und las rein – und war sofort drin in dieser Welt. Glücklicherweise habe ich genau für solche Zwecke meine Paybackpunkte aufgehoben und das Buch durfte (nach einem weiteren Tag Bedenkzeit) mit.

(Foto: S. Schückel)

Worum geht es?

Der namenlose Erzähler, ein Porträtist, wird von seiner Ehefrau verlassen, kehrt der Portraitmalerei den Rücken zu und reist zunächst ziellos durch Japan. Ein Freund von ihm bietet ihm an, im Haus von dessen Vater – ein berühmter Maler – zu wohnen, bis er weiß, welche neue Richtung sein Leben nehmen soll. Dort erhält er die – äußerst lukrative – Anfrage, noch einmal ein Portrait zu malen. Wataru Menshiki, ein Mann der auch auf den zweiten Blick noch sehr mysteriös ist, sitzt ihm schließlich Modell und obwohl der Erzähler zahllose Portraits gemalt hat, fehlt ihm hier der Zugang.

Gleichzeitig entdeckt er im Haus des berühmten Eigentümers, das er nun bewohnt, ein eigenartiges Gemälde mit dessen Entdeckung merkwürdige Dinge um ihn herum geschehen.

Mein Eindruck:

Wie geht man als unbedarfter Leser an einen Autor heran, der auf der ganzen Welt gefeiert wird und der beinahe die komplette Filterblase auf Instagram dominiert, kaum dass ein neues Buch in einer Vorschau angekündigt wird? Am besten wohl ohne Erwartungen und so, wie ich auch an einen Debütautoren herangehen würde, nämlich einfach nur mit Neugier.

Ich war bisher weder auf literarischen Wegen in Japan unterwegs, noch war ich selbst einmal dort. In den vergangenen zwei Jahren hatte ich jedoch beruflich immer wieder mit Japanern zu tun, habe Delegationen begrüßt, meinen Bereich präsentiert, Beratungen durchgeführt und war stets beeindruckt von diesen sehr höflichen aber auch sehr neugierigen Menschen. In unseren Gesprächen hatte ich immer wieder den Eindruck, einen kurzen Einblick in eine sehr faszinierende Kultur zu erhaschen und ähnlich ging es mir bei „Die Ermordung des Commendatore“. Manchmal sind es nur Nebensätze, manchmal sind es ganze Passagen, in denen man wie durch ein Fenster nach Japan blicken kann und einen Eindruck der Kultur abseits von Klischees erhält. Gerade während ruhigerer Passagen – die dabei jedoch nie langweilig zu lesen waren – hielt das meine Neugier auf einem konstant hohen Level.

„Eine Idee erscheint“ ist mehr als nur ein Untertitel, das Buch ist vielschichtig und all die Bedeutungsebenen werden in der Sprache sichtbar. Kleinigkeiten – manchmal sind es sogar einzelne Worte – ergeben im Nachhinein im Zusammenhang mit der Handlung Sinn und spielen auf die unterschiedlichen Ebenen des Buches an.

Ein Highlight ist auch die Ausstattung des Buches: Folienumschlag und farbiger Buchschnitt (Foto: S. Schückel)

Und diese Sprache! Erst einmal war der Gedanke, dass die von mir gelesenen Worte, vor gar nicht allzu langer Zeit auf Japanisch aufgeschrieben wurden, für mich ein Gänsehaut-Moment. Dadurch, dass ich sehr gut Englisch spreche und auch passabel französische oder spanische Texte verstehen kann und hauptsächlich Bücher aus diesen sprachlichen Regionen lese, ist mir die Bedeutung der Übersetzer zwar bewusst, aber sie wird mit (leider) selten so bewusst wie bei diesem Buch. Bücher haben das Potential kulturübergreifend Menschen zu verbinden und hier wurde mir das wieder einmal besonders deutlich.

Es ist der bewundernswerten Übersetzung von Ursula Gräfe zu verdanken, dass wir Murakamis Geschichten auf Deutsch lesen können. Sie gibt seinen Werken sozusagen eine deutsche Stimme und diese hat mich sehr schnell in ihren Bann gezogen. Murakamis Schreibstil ist aus meiner Sicht natürlich schwer von Ursula Gräfes Übersetzung zu trennen (das möchte ich auch gar nicht), und dementsprechend auch schwierig zu charakterisieren. Hier ein Versuch: So, wie Musik in seinem Buch (und scheinbar in vielen weiteren Werken) eine große Rolle spielt, hatte ich den Eindruck, einer gewissen Melodie in Murakamis Geschichte zu lauschen. Diese mag am Anfang langsam vor sich hin plätschern, ließ mich jedoch nie los, nahm dann immer mehr Fahrt auf und mündete schließlich in wunderbaren Orchesterklängen.

Das Rätsel des Gemäldes, die Versuche des namenlosen Erzählers, Herrn Menshiki zu porträtieren, und die eigenartigen Vorkomnisse in seinem neuen Heim – all diese Elemente machen die Lektüre zu etwas, das sich schwer in Worte fassen lässt. Murakami schreibt fesselnd, spannend und so, dass man selbst die übersinnlichen Aspekte im Buch ohne Stirnrunzeln als Teil der Realität im Buch akzeptiert.

Fazit:

Ein wirkliches Fazit zur Geschichte lässt sich erst ziehen, wenn ich auch „Die Ermordung des Commendatore II – Eine Metapher wandelt sich“ gelesen habe. Erst dann kann ich die verschiedenen Aspekte der Geschichte besser einschätzen. Bereits jetzt freue ich mich sehr auf das Buch und darauf, wie die Geschichte weiter geht und vor allem wie die Wandlung der Metapher aussieht.

Lohnt sich dieser Murakami als Einstieg? Da ich bisher kein anderes Buch von ihm gelesen habe, kann ich das nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen. Für mich hat es sich definitiv gelohnt. Man muss sich, glaube ich, auf seine Werke einfach einlassen, sich hineinfallen lassen und vertrauen, dass man aufgefangen wird. Dann kann auch ein Zweiteiler ein guter Einstieg sein – für mich war er das.

5 von 5 Sternen.

Mehr zum Buch:*

Spannende Interviews mit der Übersetzerin Ursula Gräfe zu Murakami und dem Übersetzungsprozess findet Ihr bei :

Linus von Buzzaldrins Bücher | Simone von der Klappentexterin | und bei den Büchermenschen

Rezensionen findet Ihr unter anderem bei:

Marius von Buch-Haltung | und Silvia und Astrid von Leckere Kekse

  • Preis: 26 €
  • Gebundene Ausgabe: 480 Seiten
  • Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3832198911
  • ISBN-13: 978-3832198916
  • Originaltitel: Kishidancho goroshi

 

4 Gedanken zu “Rezension: „Die Ermordung des Commendatore I“ (Haruki Murakami) – ein erster Eindruck

  1. Liebe Sarah,

    ich bin großer Murakami-Fan und das Buch liegt schon für mich bereit :). Ich musste natürlich auch die Erstauflage mit dem blauen Farbschnitt haben (Bin sonst nicht so) und habe mich gefreut, dass ich noch einen Büchergutschein von einer ehemaligen Arbeitskollegin dafür einsetzen konnte 🙂

    Freut mich, dass Du Dich auf das Buch eingelassen hast und dass auch noch als Einstieg zu Murakami und vielleicht hast Du ja Lust bekommen, seine älteren Werke zu lesen.

    Liebe Grüße,
    Simone.

  2. Pingback: Rezension: „Die Maske“ (Fuminori Nakamura) | Studierenichtdeinleben

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