(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Zensur findet nicht statt.
(§5 Abs. 1 Grundgesetz)
Als Bürger – und insbesondere als Blogger – genießen wir in Europa drei Privilegien: Wir dürfen über alles diskutieren (Meinungsfreiheit), wir dürfen über alles schreiben (Publikationsfreiheit) und wir dürfen uns über alles informieren (Informationsfreiheit). Diese drei Privilegien – wie oben eindeutig im Grundgesetz festgehalten – bilden eine wichtige Säule unserer Demokratie. In anderen europäischen Ländern sind sie in ähnlicher Form in deren Verfassung verankert.
Eine Ausstellung rückt diese Privilegien eindrucksvoll in den Fokus: Die documenta 14 in Kassel, deren wohl eindrucksvollstes Kunstwerk der Parthenon of Books (Parthenon der Bücher) ist. In diesem und zwei folgenden Beiträgen möchte ich Euch das Kunstwerk und die Idee dahinter näher vorstellen. Außerdem stelle ich Euch in jedem Beitrag auch kurz zwei ehemals verbotene Bücher vor. Wer dann am Ende neugierig auf ehemals verbotene Bücher ist, der darf sich freuen: Der Diogenes Verlag, der auch Bücher für das Kunstwerk gespendet hat, spendiert auch dem Gewinner drei Taschenbücher nach Wahl! Also – dranbleiben lohnt sich!
The Parthenon of Books
The Parthenon of Books der argentinischen Künstlerin Marta Minujín ist eine maßstabsgetreue Installation nach dem Vorbild des Tempels auf der Athener Akropolis. Es soll das Ideal der ersten Demokratie repräsentieren und soll ein Zeichen gegen Zensur und die Verfolgung von Schriftsteller*innen weltweit setzen. Das politisch motivierte Verbot von Texten, das darauf abziehlt, den offenen Diskurs und die Meinungsvielfalt zur Verfestigung von Machtverhältnissen einzuschränken, ist leider noch in vielen Ländern vorzufinden. Am beeindruckend großen Parthenon – und nicht nur dort – kann man sich vor Augen führen, wie viele Bücher verboten waren und darüber nachdenken, was Publikationsverbote bewirken: Die Einschränkung des offenen Diskurses und der Demokratie.
Auch der Ort des Parthenons ist kein Zufall: Auf dem Kasseler Friedrichsplatz wurden am 19. Mai 1933 im Zuge der sogenannten „Aktion wider den undeutschen Geist“ der Nationalsozialisten rund 2.000 Bücher verbrannt. Sowieso ist es ein geschichtsträchtiges Kunstwerk. Die Installation geht zurück auf das Jahr 1983, als El Partenón de libros kurz nach dem Zusammenbruch der argentinischen zivil-militärischen Diktatur die Bücher ausstellte, die während der Diktatur verboten waren. Nach fünf Ausstellungstagen wurde die Installation zur Seite gekippt, sodass sich die Besucher Bücher mitnehmen konnten. Eine Ähnliche Aktion ist zum Ende der documenta 14 in Kassel geplant, um die Bücher wieder an die Öffentlichkeit zurückzugeben.
Buchspenden
Ursprünglich wurden 100.000 Bücher für die Installation in Kassel benötigt, aktuell sind immerhin 50.000 durch Spenden zusammengekommen. Der Aufruf zu Buchspenden ist hier zu finden. Dort finden sich auch zwei Listen mit Titeln die aktuell oder zeitweise in verschiedenen Ländern verboten waren. Das Institut für Germanistik der Universität Kassel hat mit einem großen Team unter der Leitung von Germanistin Prof. Dr. Nikola Roßbach und Gastprofessor Dr. Florian Gassner eine Liste verbotener Bücher erstellt, welche die Entscheidungsgrundlage für die Buchspenden bildet. Die laufend aktualisierte Liste umfasst mittlerweile über 70.000 Buchtitel und bietet zudem Informationen dazu, in welchen Ländern das jeweilige Buch wann verboten war – oder noch verboten ist. Alle gespendeten Bücher werden mit dieser Liste abgeglichen und auch jetzt werden noch Buchspenden angenommen.
Es ist beeindruckend, zu sehen, wie viele Bücher zu unterschiedlichen Zeiten verboten wurden. Grundlage der Liste der Uni Kassel sind bereits existierende Listen, wie der bekannte Index Librorum Prohibitorum der katholischen Kirche aus dem Jahr 1948. Wenn man sich die Kurzliste auf den Seiten der documenta 14 ansieht, wird schnell klar, dass viele Klassiker der Weltliteratur irgendwann einmal der Zensur unterlagen.
Stöberempfehlung für verbotene Bücher
Die Listen laden natürlich ein, selbst zu stöbern, welche Bücher einmal wann und wo verboten waren. Als jemand der sich sehr für Literatur unterschiedlichster Genres und Entstehungszeiten interessiert, habe ich fasziniert durch die Listen gescrollt. Insbesondere für die lange Liste sollte man viel Zeit einplanen.
Für die Bücher, die ich Euch hier als Ansatzpunkt für eigene Stöberrunden zum Thema „verbotene Bücher“ vorstelle gilt folgendes: Meine Auswahl ist rein willkürlich und sicher kann man bei jedem Werk darüber diskutieren, ob es nicht ein noch wichtigeres gäbe, das stattdessen vorgestellt werden müsste. Die Bücher stehen hier stellvertretend für alle verbotenen Werke und soll lediglich das Interesse an diesen Büchern wecken. Eine kurze Erklärung gibt Euch einen Einblick in meinen Entscheidungsprozess.
Da der Diogenes Verlag so freundlich ist, für die Beitragsreihe ein Buchpaket zur Verfügung zu stellen, habe ich diese Ausgaben der hier vorgestellten Bücher gewählt.
Erich Kästner, Lesebuch
Warum verboten: Alle Texte des gebürtigen Dresdners Erich Kästner – mit Ausnahme seines „Emil und die Detektive“ – wurden während des Nationalsozialismus verboten – und verbrannt. Kästner geriet in den Fokus der Nationalsozialisten, da er Obrigkeiten und Hierarchien verspottete und sich klar zum Antimilitarismus bekannte. Nur „Emil und die Detektive“ waren bereits so beliebt, dass die Nazis dieses Buch nicht auch verbrennen konnten.
Warum ausgewählt: Kästners Ansichten sind erstaunlich aktuell und regen immer noch zum Nachdenken an. Da alle Werke Kästners – bis auf den „Emil“ – verboten wurden, ist der beste Einstieg in seine Werke wohl ein Lesebuch, das dem interessierten Leser einen Überblick über seine Texte verschafft. Außerdem ist es mir als Wahl-Dresdnerin ein besonderes Anliegen, auf sein Wirken hinzuweisen.
Franz Kafka, Der Prozeß
Warum verboten: Alle Werke Franz Kafkas waren zwischen 1933 und 1945 durch die Nationalsozialisten verboten und wurden auch bei Bücherverbrennungen verbrannt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde er jedoch nicht durch die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei rehabilitiert: Seine Werke wurden als dekadent eingestuft und ganz besonders „Der Prozeß“ war der Partei ein Dorn im Auge, denn hier fanden sich unerwünschte Ähnlichkeiten zu den Denunziationen und Schauprozessen der Regierungen des Ostblocks. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurden seine Werke erneut verboten.
Warum ausgewählt: Diese Geschichte beschreibt eindringlich, was mit einem Individuum passiert, wenn es der Willkür eines Systems ausgesetzt wird. Dabei ist alles so beklemmend beschrieben, dass man darüber nachdenkt, wie man selbst reagieren würde – und ob so etwas hier und heute auch möglich wäre. Ausgewählt habe ich dieses Buch eben gerade wegen seines Potentials zum Nachdenken anzuregen.
Die weiteren Beiträge dieser Reihe findet Ihr hier:
Einfach eine tolle Idee!
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Danke auch besonders für die Vorstellung der Bücher von Kafka und Kästner als verbotene Literatur!
Gott sei Dank ist das vorbei und darf nie wieder kommen!
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