Rezension: „Totenfang“ (Simon Beckett)

Als Leseratte bin ich eigentlich immer auf der Suche nach Büchern, die mich vom ersten Satz an fesseln. Simon Beckett schreibt solche Bücher. Die ersten Zeilen packen mich und lassen mich nicht mehr los: Jedes von Simon Becketts Büchern beginnt mit einer klinisch nüchternen Betrachtung über den Verwesungsprozess des menschlichen Körpers unter bestimmten Bedingungen. Das klingt im ersten Moment unappetitlich, ist aber gerade durch die emotionslose Schilderung besonders faszinierend.

Fünf Jahre nach seinem letzten Roman aus der David Hunter Reihe – „Verwesung“ – ist nun endlich der fünfte Teil der Reihe erschienen. „Totenfang“ ist eine deutsche Weltpremiere – auf Englisch erscheint es im kommenden Frühjahr – und kann auch als Einstieg in die Hunter-Reihe genutzt werden. Ich durfte das Buch vorab in der Form von Druckfahnen lesen – dem Rowohlt Verlag möchte ich an dieser Stelle herzlich für das damit bewiesene Vertrauen danken! Ein Buch in seiner „Rohform“ zu bekommen war für mich eine ganz neue und wunderbare Erfahrung. Nach meinem Urlaub (spätestens zu Weihnachten) wird es hier ein Gewinnspiel zu „Totenfang“ geben. Behaltet diese Seite also im Auge 😉

Ein kleiner Appell für die bloggenden Leser hier: Simon Beckett schrieb für die Erstleser der Druckfahnen einen Brief mit einer Bitte, die ich hier weitergeben möchte. Bitte verratet keine der bedeutenden Handlungskniffe. Und deutet sie bitte auch nicht an. Es ist schwierig, das weiß ich, aber es verdirbt anderen Lesern sonst den Spaß. Ich zähle auf Euch – danke!

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Inhalt:

In den Backwaters, einem sehr schwer zugänglichen Mündungsgebiet in Essex, das den Naturgewalten ausgesetzt ist, wird eine Leiche gefunden und eigentlich sollte der Fall klar sein, denn es werden zwei Personen in der Gegend vermisst – ein Mann und eine Frau. Dass der Fall nicht so leicht lösbar ist, wie er sich David Hunter zunächst darstellt, muss er recht bald feststellen. Und er muss erkennen, dass die Backwaters so manches Geheimnis bewahren.

Mein Eindruck:

Gerade wenn das letzte Buch einer Reihe vor mehreren Jahren erschienen ist, ist es für mich wichtig, dass ich direkt wieder das Gefühl für die Geschichte und die Charaktere bekomme. Simon Beckett löst dieses Problem sehr geschickt mit einer typischen Eigenschaft von David Hunter: Er denkt viel nach. Auf diese Weise hat Beckett immer wieder kleine Rückblenden einfließen lassen, so dass man als Leser genau vor Augen hat, welche Entwicklung Hunter in den letzten Büchern durchlebt hat. Gleichzeitig sind diese Andeutungen aber so gehalten, dass man als Leser, der man noch nie einen David Hunter Roman vor sich hatte, trotzdem auch die vorherigen Bände genießen kann und die darin enthaltene Spannung nicht verloren geht.

Wie auch in den vorherigen Büchern ist Simon Becketts Schreibweise atmosphärisch und nüchtern zugleich. Seine Art und Weise, die natürlichen Gegebenheiten eines Tatorts (und dessen unmittelbare Umgegend) so zu nutzen, dass man als Leser das Gefühl hat, man sei direkt vor Ort, fand ich besonders faszinierend. Ich konnte die salzige Luft beinahe riechen, während ich die Seiten umblätterte. Gleichzeitig sind die Beschreibungen der grausameren Details der Geschichte aber immer so klinisch kühl gehalten, dass man diese zwar wahrnimmt, aber nie übermäßigen Ekel verspürt. Vielmehr steht die Faszination an den natürlichen Verfallsprozessen im Fordergrund – auch wenn das makaber klingen mag. Denjenigen von Euch, die überlegen, ob ihr Magen die Hunter-Reihe aushält, sei gesagt: Ich konnte ohne Skrupel mein Marmeladenbrot futtern.

Genausi, wie in den bisherigen Bänden schafft Simon Beckett es, eine Vielzahl unterschiedlicher und vielschichtiger Charaktere in die Handlung einzuflechten. Allesamt kann man sich exakt so in der Umgebung der Backwaters vorstellen und dadurch, dass jeder einzelne seine eigene Geschichte hat, hat man da auch (und ich spreche aus Erfahrung) mit einem weniger guten Namensgedächtnis keine Probleme die Figuren auseinanderzuhalten.

Ich lese des öfteren Krimis und Thriller, habe dabei aber gemerkt, dass ich diese Bücher oft mit der David Hunter Reihe vergleiche. Mittlerweile weiß ich auch wieso – David Hunter selbst ist der Grund. Er ist kein draufgängerischer Polizist, kein grimmiger oder in Ungnade gefallener Ermittler: Er ist letztlich Wissenschaftler. Als forensischer Anthropologe ist seine Rolle hinter den Kulissen angelegt und noch dazu hat er zwar Ecken und Kanten und eine nicht gerade einfache Vergangenheit – aber er ist sympathisch. Ich zumindest würde ihn gerne mal im Pub treffen und mir etwas über seine schwierige aber auch wichtige Arbeit anhören. Nach vier Büchern über ihn ist er beinahe zu einer Art altem Bekannten geworden, den man gerne wieder trifft. Meine größte Befürchtung bei „Totenfang“ war dementsprechend, dass David Hunter plötzlich unsympathisch – eben ein anderer – geworden sein könnte. Diese Befürchtung, solltet Ihr sie auch haben, könnt Ihr getrost über Bord werfen. David Hunter ist immer noch er selbst.

Fazit:

Die typischen Fragen, die nach so einer langen Pause zwischen Büchern einer Reihe oft aufkommen, habe ich hier für Euch gesammelt beantwortet:

Ist das Buch genauso spannend wie die Vorgänger? – Ja.

Ist es ein typischer „Hunter“/“Beckett“?Ja.

Kann man das Ende erraten? – Ich jedenfalls nicht.

Gerade der subtile Spannungsaufbau mit dem Geflecht aus vielschichtigen Charakteren, falschen Fährten und überraschenden Details sowie gleichzeitig interessanten und grusligen forensichen Erläuterungen macht wohl den Reiz der David Hunter-Reihe aus – auch bei „Totenfang“. Simon Beckett knüpft – ungeachtet des Zeitsprungs – nahezu nahtlos dort an, wo sich die Wege zwischen David Hunter und dem Leser zuletzt getrennt haben. Man kann nur hoffen, dass die Wartezeit bis zu einem weiteren Thriller nicht wieder so lang wird.

5 von 5 Sternen.

Mehr zum Buch:

  • Preis: 22,95€
  • Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
  • Verlag: Wunderlich; Auflage: 1 (14. Oktober 2016)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3805250010
  • ISBN-13: 978-3805250016

12 Gedanken zu “Rezension: „Totenfang“ (Simon Beckett)

  1. Simon Beckett habe ich schon lange im Blick aber bis jetzt noch kein Buch von ihm gelesen! Gibt es da eine bestimmte Lesereihenfolge? Hast du mir einen Tipp, mit welchem Buch ich beginnen sollte?

    • Liebe Elizzy,

      es gibt in der Tat eine Reihenfolge:

      „Chemie des Todes“
      „Kalte Asche“
      „Leichenblässe“
      „Verwesung“

      Und nun „Totenfang“ – und da die Bücher zwar immer einzelne Mordfälle behandeln, aber insgesamt aufeinander aufbauen, ist „Chemie des Todes“ der Einstieg der Wahl 😉

      Und es ist auch einer meiner liebsten Teile der Reihe 😉

      Sag mal, wie sie Dir gefallen, wenn Du in die Reihe einsteigst!

      Liebe Grüße
      Sarah

  2. Hallo 🙂

    Ich habe gestern deinen Beitrag in irgendeiner Facebookgruppe gefunden und musste ihn Lesen.
    Ich bin von deinem Schreibstil begeistert und finde es gut das du so wage geblieben bist.
    Den Block den du unter dem Buch hast, ist echt schön. Hast du den auch bekommen?

    Ich werde deine Seite nun öfter Besuchen, vielleicht magst du bei mir vorbei schauen 🙂

    lg Lea

    http://www.leaphelina.de

    • Liebe Lea,

      vielen Dank für den lieben Kommentar – und das Kompliment 🙂 Freut mich, wenn Du öfter vorbeischaust 😉 Bei der nächsten Blogrunde werde ich Dich dann auch besuchen!

      Was den Block anbelangt: Das ist keiner 😉 Das sind die Druckfahnen. Als ich das Buch vorab lesen durfte gab es noch kein gebundenes Exemplar. Deshalb habe ich – zum ersten Mal übrigens – die Druckfahnen lesen dürfen. War eine ganz besondere Erfahrung! Ich hab sie allerdings selbst ringeln lassen – bei losen Blättern wäre ich wohl komplett durcheinander gekommen.

      Ich hoffe wir lesen uns bald 🙂
      Liebe Grüße
      Sarah

  3. Pingback: [Rezension] Simon Beckett – Totenfang | Die Bücherkrähe

  4. Hallöchen,
    Gerade bin ich auf deine Rezension zum Buch gekommen, weil ich eine schöne gesucht habe, die ich auf meinem Blog verlinken kann. Tada! Ich habe mich für deine entschieden.
    Ich habe damals auch die Fahnen bekommen – allerdings ungebunden und als sie ankamen, wollten sie einfach nicht aus dem Paket und dann habe ich es ausgeschüttelt und durfte danach seeeehr viele Seiten neu sortieren. 😅 Spaßig.
    Mir hat der Hunter auch wieder richtig gut gefallen und ich gehe davon aus, dass es nicht der Letzte war, den wir zu lesen bekommen haben. 🙂

    Liebst, Lotta

    • Liebe Lotta,

      huch, den Kommentar habe ich irgendwie übersehen – sorry, dass sich die Antwort etwas verzögert hat. Und vielen Dank für die Blumen, da freue ich mich sehr!
      Hihi, das muss zugegebenermaßen lustig ausgesehen haben, aber ich bin hoffe, dass die Sortiererei Dich nicht gespoilert hat 🙂

      Viele liebe Grüße
      Sarah

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